Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


[ Drittes Reich ]  (1933-1944)

aus dem Anhang der Ratheimer Chronik von Peter Schlebusch, aufbereitet von Helmut Winkens
 

Während des dritten Reiches

Peter Schlebusch 1933
Peter Schlebusch 1933

567 x 700 (70kB)
 

Nachdem ich von der Glanzstofffabrik Oberbruch entlassen worden war, wurde ich Geschäftsführer der Provinzial Feuerversicherungsanstalt im Bereiche der Gemeinde Ratheim. Da ich in dieser Eigenschaft mit dem damaligen Ortsgruppenleiter geschäftlich viel zusammen kam, weil er Mitinhaber einer Schuhfabrik war, und die Kriegsopferorganisationen auch gleichgeschaltet und in die N.S.K.O.V umgewandelt wurden, wurde ich fast automatisch Parteimitglied.

Ich wurde sogar der erste Schriftführer dieser Ortsgruppe. Da ich aber religiös war, dauerte dieses nicht lange. Man entzog mir sogar das Amt des Ortsgruppenvorsitzenden, weil dieses Amt mit alten Kämpfern besetzt werden musste. Nach vielem hin und her war man froh, dass ich dieses Amt der Kriegsopferversorgung wieder übernahm. Bei dieser Gelegenheit habe ich die Faulheit dieses Regimes gut kennen gelernt.

Als ich mich eines Tages weigerte, den Parteitagbetrag zu zahlen, wurde ich zum Ortsgruppenbüro vorgeladen, das sich damals am Kantinenberg (Schaufenberg) befand. In diesem Raum hatte auch die SA ihr Heim. Ich war auf etwas gefasst. Der Ortsgruppenleiter konnte mich nicht weich machen, den Parteitagbetrag zu zahlen. Gute Worte und auch Drohungen halfen nichts. Je lauter dieser brüllte, desto lauter brüllte ich. Die SA-Leute im Hintergrund behielt ich im Auge. Der geringste Versuch mich anzugreifen hätte einen Toten gegeben. Aber diese verhielten sich ruhig. Diese hatten sogar Spaß, wie ich später erfuhr, dass ich dem Ortsgruppenleiter, der noch ein sehr junger Mensch war, den Kopf gewaschen hatte.

Die Vereidigung auf den Führer habe ich nicht mitgemacht, denn ehe ich in dem Saal anlangte, war die Vereidigung vorüber.
 

Gutheit ist Dummheit

Eines Tages, nachdem die Großgemeinde Hückelhoven-Ratheim gebildet war (darüber ein extra Bericht), erschienen bei mir drei Herrn, einer sogar in der Uniform eines SA-Standartenführers, und erklärten, der Geschäftsbereich der Großgemeinde würde in eine Hand gelegt. Durch meine Kriegsbeschädigung wäre ich dazu nicht fähig, diesem nachzukommen. Die Geschäftsführung würde dem Gastwirte H.V. übertragen. Ich könne ihm ja als Untergeschäftsführer zur Hand gehen. Dieses lehnte ich aber ab.

Mit einem dieser Herren habe ich einmal acht Tage zusammen gearbeitet, um Versicherungen neu zu regeln und zu erhöhen. Diesen Herrn schickte ich zwecks Unterkunft und Kost zu diesem betr. Gastwirte. Bei dieser Gelegenheit hat sich diese Maßnahmen entwickelt. In der ersten Zeit machte dieser Gastwirt viele Versicherungen, weil er eine große Verwandtschaft hat. Nach einem Jahr ließ seine Tätigkeit nach. Jetzt kam man wieder auf mich zurück. Ich lehnte aber ab.

An dieser Stelle kam nun ein Herr aus Erkelenz. Im Jahre 1943 wurde dieser Geschäftsführer zur Wehrmacht eingezogen und bat mich, während seiner Abwesenheit den Bestand der Versicherungen wenigstens in Ratheim in Ordnung zu halten, was ich auch getan habe.

Bei der Machtübernahme war ich Mitglied des Gemeinderates. Dieser Gemeinderat wurde aber aufgelöst und ein neuer ernannt. Ich war nicht mehr würdig. Nach allerhand Schikanen und Gleichschaltungen kam der zweite Weltkrieg, wo die Arbeit sich in der Kriegsopferversorgung sehr vermehrte. Inzwischen war der Bürgermeister der Großgemeinde Dr. Kamann Ortsgruppenleiter geworden, weil der amtierende Ortsgruppenleiter, Schulrektor Hans Klemens, als Offizier zum Heeresdienst eingezogen war. Mittlerweile war ich noch zum Leiter des Ortsbundes des Kolonialverbandes geworden. Ebenfalls war ich Ortsgruppenführer des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge.

Ich musste nun meine Sprechstunden mit den Sprechstunden der Partei zusammenlegen. Der Parteiamtsleiter, der die Personalien der Partei unter sich hatte, der einer Tanzkapelle angehörte, hatte seinen Platz in den Sprechstunden neben mir. Da wir uns sehr gut kannten, bat er mich, wenn er nicht während der Sprechstunde da sein sollte, ihn zu vertreten. Ich stimmte diesem aus bestimmten Gründen zu, denn ich hatte dabei meinen Zweck. Er übergab mir den Schlüssel zu seinem Aktenschrank. Außer den Sprechstunden ging ich zu diesem Parteibüro und schloss mich darin ein und durchstöberte alles Aktenmaterial und Schriftstücke. Infolgedessen konnte ich viele warnen, die auf der schwarzen Liste standen, das mir aber einmal zum Verhängnis wurde, weil der Gewarnte mich verriet.

Auch fand ich ein Schreiben über meine Person. Daraus ersah ich, wie die Parteileitung über meine politische Einstellung dachte. Es war nicht erfreulich. Als nun der neue kom. Ortsgruppenleiter Dr. Kamann seinen ersten Stimmungsbericht nach den höheren Parteiorganen schicken musste, bekam jeder Funktionär einen Fragebogen mit 36 Fragen. Diese Fragen mussten wir nach bestem Wissen und Gewissen beantworten, was ich auch tat. Dabei beurteilte ich genau, wie das Volk auf der Straße über den Staat, Partei, Judenfrage und den Krieg dachte. Dieses war aber nicht nur im Sinne des Ortsgruppenleiters, sondern auch der höheren Parteiorgane. Ich wurde jetzt auch danach behandelt.
 

Ein Zwischenfall

Ich schlachtete ein Schwein. Nach der damals bestehenden Verordnung musste man das betr. Schwein drei Monate selbst gemästet haben. Ich kaufte ein Schwein und wollte dieses drei Monate bei einem Bekannten auf meine Kosten weiter mästen lassen. Da nun dieses Schwein in einem fremden Stall nicht fraß und abnahm anstatt zunahm, ließ ich das Schwein schlachten. Ich bekam auch einen verbilligten Schlachtsteuerschein. Das betr. Fleisch war bereits geräuchert[,  da] erschien ein Zöllner und beanstandete den verbilligten Schlachtschein. Ich musste die erhöhte Schlachtsteuer bezahlen.

Damit war es aber noch nicht genug. Eines Morgens erschien ein Polizeibeamter in meiner Wohnung und erklärte, er müsse das noch vorhandene Fleisch beschlagnahmen und es bei einem Metzger im Kühlschrank hängen lassen. Ich spürte: dieses war dem Polizeibeamten nicht angenehm, so vorgehen zu müssen, denn der Beamte war ein guter Bekannter von mir. Außerdem wurde ich zu 60-Reichsmark wegen unerlaubten Schlachtens bestraft. Auf meine mündliche Beschwerde auf dem Landratsamt in Erkelenz wurde mir eine Aktenmappe vorgelegt, worin ich ersehen konnte, dass die ganze Treiberei gegen mich von dem Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Kamann ausging. Mein Einspruch aber hatte den Erfolg, dass ich mein Fleisch zurück bekam, die 60-RM Strafe mussten aber gezahlt werden. Dieses war mir egal.
 

Zurück zur Partei

In meiner Nachbarschaft wurde einem Ehepaar die Wohnung gekündigt, deren alleiniger Sohn an der Front in Russland war. Eines Tages bekam dieser Sohn Urlaub mit dem Befehl, die Mietsgeschichte seiner Eltern in der Heimat in Ordnung zu bringen.
"Es scheint, dass die Heimat verrückt geworden ist" waren die Worte des Komp.Führers.
Der Urlaub ging um, ohne dass die betr. Wohnungsgeschichte in Ordnung gebracht worden war, weil der Vermieter ein Freund des Bürgermeisters war. Ehe nun der Urlauber zu seiner Einheit zurückkehrte, schrieb er eine schriftliche Meldung, worin der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister heftig angegriffen wurde. Der Soldat kehrte zu seiner Einheit zurück, die vor Stalingrad lag. Kurz nach seiner Rückkehr wurde der Ring um Stalingrad geschlossen und der betr. Urlauber ist seit dieser Zeit vermisst. Die betr. Meldung kam in die Hände des Bürgermeisters, wie und warum ist mir unbekannt. Der Bürgermeister und Ortsgruppenleiter setzte aber den Inhalt der Meldung auf mein Konto.

Auf einer Amtwaltertagung, an der auch ich teilnehmen musste, sprach der kom. Ortsgruppenleiter über zwei Stunden. Der Inhalt seiner Rede war nur über meine Person. Obschon er meinen Namen nicht nannte, wusste jeder Teilnehmer an der Versammlung, wer damit gemeint war. Weil nun vieles in seiner Rede wahr war, aber auch vieles unwahr und erdichtet war, meldete ich mich zu Wort, das mir nach dreimaliger Meldung verweigert wurde. Alle waren erschrocken, denn sie wussten, was jetzt kommen würde.

Nach zwei Tagen wurde ich vom Kreisleiter aller meiner Ämter enthoben. Als ich mich darauf bei meinem Kreisamtsleiter meldete, schlug dieser die Hände über dem Kopf zusammen und sagte:

"Machen Sie, dass Sie nach Hause kommen und sagen keinem, dass Sie bei mir waren! Ich müsste Sie sofort verhaften lassen."

Eine Verwandte von mir, die auf dem Vorzimmer des Bürgermeisters saß, sagte einige Monate nachher zu mir, ich hätte damals großes Glück gehabt, denn meine Einlieferung zum Konzentrationslager hätte auf dem Bürgermeisteramt fertig gelegen. Aber wegen meiner schweren Kriegsbeschädigung hätte man doch davon abgesehen, um in der Bevölkerung wegen des Krieges keine Beunruhigung hervorzurufen, denn der Bevölkerung soll jede unnötige Aufregung erspart bleiben.

Dieser Bürgermeister und Ortsgruppenleiter war - so frech er in der Öffentlichkeit auch war - aber auch wieder so feige. Unter jedem Schriftstück, das er über mich abfasste, stand zuletzt:

"Ich bitte dieses Schriftstück, wenn Sie davon Kenntnis genommen haben, zu vernichten, denn ich möchte nicht, dass Schlebusch davon Kenntnis erhält."

Aber auch der Bürgermeister bekam sein Teil wegen dieses Vorfalles ab. Zwölf Stunden nach der betr. Versammlung erhielt das Wehrbezirkskommando in Jülich davon Kenntnis. Ich war bei den Offizieren des Wehrkommandos kein Unbekannter, wegen Reklamationen von Soldaten. Der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister wurde zur Wehrmacht eingezogen. Der amtierende Ortsgruppenleiter wurde von der Wehrmacht entlassen und übernahm wieder die Ortsgruppe. Mit diesem Ortsgruppenleiter hatte ich ein sehr gutes Verhältnis, aber nicht wegen der Partei, sondern dieser war auch Kriegsteilnehmer des ersten Weltkrieges. Nach meiner Ansicht habe ich diesem Ortsgruppenleiter vieles zu verdanken, dass es damals nicht zum Äußersten kam. Ich bekam wieder ein Amt in der Partei. Die Kartei aller Eingezogenen der ganzen Großgemeinde musste ich verwalten.

In diesem Zusammenhang sei noch folgendes berichtet: Als ich von dem Kreisamtsleiter des NSKOV von Hückelhoven nach Ratheim mit meinem Fahrrad fuhr, entspann sich über mir ein Luftkampf zweier Flieger. Ein in der Nähe liegender Bunker war schon voller Menschen. Einige davon standen vor dem Eingang und beobachteten den Luftkampf und winkten mir zu, zu kommen. Auf dem Wege dorthin stolperte ich mit meinem Fahrrad und fiel zu Boden. "Na, jetzt bleibst du tot und hier ist alles aus." Das feindliche Flugzeug ist dann auch oben auf der Buscherbahn abgestürzt.
 

 

Nächstes Kapitel: Evakuierung (1944-1945)