Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Erster Weltkrieg (1915-1916)

aus dem Anhang der Ratheimer Chronik von Peter Schlebusch, aufbereitet von Helmut Winkens
 

Meine zweite Verwundung

Es war in einer Januarnacht 1915. Eine vorgeschobene Stellung. 80 Meter von der französischen entfernt mussten wir einen Drahtverhau anbringen. Es war überhaupt eine sehr unruhige Nacht. Überall wurde geschossen. Leuchtkugeln wurden hochgeschossen und beleuchteten die Gegend taghell. Bei Hochgehen einer Leuchtkugel mussten wir uns zu Boden werfen und liegen bleiben, bis selbige erloschen war. Dieses hatten wir schon mehrere Male geübt. Der Boden war durch Regen sehr aufgeweicht. Bei der nächsten Leuchtkugel kniete ich mich auf das linke Knie. Peng, ich hatte eine weg! Mein Nebenmann sagte:

"Das habe ich gehört".

Der Leutnant war sofort bei mir und sorgte dafür, dass ich nach hinten transportiert wurde. Bis zur Stellung konnte ich getragen werden. Durch die vorgeschobene Stellung konnte ich nicht getragen werden, sondern ich musste humpeln, humpeln durch den Verbindungsgraben zur Hauptstellung.
In einer Sandgrube waren wir in Deckung und es konnte mir der erste Notverband angelegt werden. Es stellte sich bei mir so ein Durst ein, dass ich alle Feldflaschen meiner Kameraden austrank. Die Feldflaschen waren mit Kaffee oder Tee gefüllt. Von dort aus wurde ich von Sanitätern mit einer Tragbahre zu einem Sanitätswagen, der in einem Wald stand, zum Hauptverbandsplatz gefahren. Ich war der dritte Verwundete; vier hatten Platz darin in zwei Etagen. Nach kurzer Zeit wurde der vierte Verwundete eingeladen und es ging ab zum Hauptverbandsplatz. Dieser war ein mit Baumstämmen eingerichteter großer Raum.

Mein verwundetes rechtes Bein hatte durch das Humpeln die Gestalt eines O angenommen. Der Arzt sagte:

"Wir müssen das Bein wieder grad ziehen!"

Um die Schmerzen nicht zu spüren bekam ich einen Ätherrausch. Als ich aus meinem Dusel aufwachte, lag ich auf einer Tragbahre neben einem Bärenklau. Ein Bärenklau ist ein Ofen, wie ihn früher bei uns die Holzschuhmacher hatten, um im Winter die Werkstätte zu heizen. Es konnte darin nur mit Holz geheizt werden. Um das Bein grad zu halten, hatte man eine Dachlatte daran befestigt, die aber ein halb Meter zu lang war. Zwei Krankenwärter bemühten sich um mich und gaben mir zu trinken was ich wollte, Kaffee, Wasser oder Tee. Als sie aber bemerkten, dass es mir schlecht wurde, verschwanden sie, warum weiß ich nicht. So blieb ich denn auf dieser Stelle die ganze Nacht, den darauf folgenden Tag und wieder die folgende Nacht. Alle Krankenwärter und Sanitäter machten einen großen Bogen um mich herum. Es war hier ein Kommen und Gehen.

Als nun am zweiten Morgen sich auch keiner um mich kümmerte und die Lebensgeister sich wieder in mir regten, brüllte ich einen in der Nähe stehenden Sanitäter an und verlangte zu Essen und zu Trinken. Dieser tat sehr verwundert, als wäre ich schon tot gewesen.

"Wir haben nichts zu essen, wir haben selber nichts."

Ich verlangte den Leiter dieses Verbandsplatzes. Dieser kam, es war ein Wachtmeister der Artillerie.

"Was ist hier los?"
"Herr Wachtmeister, ich liege hier schon zwei Tage und zwei Nächte und keiner kümmert sich um mich!" Ich verlangte erneut zu Essen und zu Trinken, oder Abtransport.
"Sie sind nicht transportfähig."
"So, dann muss ich hier verhungern und verdursten! Entweder - oder!" war meine Antwort.

Innerhalb einer halben Stunde erfolgte auch der Abtransport und [ich] wurde in einen Lazarettzug verladen. Der Lazarettzug bestand aus Güterwagen. Auf Stroh wurden die Verwundeten gebettet. Ich blieb auf der Tragbahre liegen. Vor Abfahrt des Zuges ging der Arzt zu jedem Verwundeten und verabreichte ihm eine Zigarre. Bei mir merkte er, dass eine Zigarre nicht angebracht war und verabreichte mir eine Spritze. Die Spritze war so bemessen, dass [sie] bis Rethel, wo wir ausgeladen wurden, reichte.
 

Kriegslazarett Rethel

In Rethel wurden wir ausgeladen und kamen in das Kriegslazarett "Spinnerei". Der Saal, wo ich zu liegen kam, im zweiten Stock, war so groß, dass neben den Maschinen, die noch im Saal standen, 400 Betten standen. Diese standen längsseits der Maschinen. Auch hier wurde ich am zweiten Tag erst gebettet und kam auf Anordnung des Chefarztes im Streckverband zu liegen, weil auf dem grünen Zettel, der mir auf dem Hauptverbandsplatz ausgehändigt worden war, die Vermerkung stand: Beinbruch (anstatt Beinschuss). So wurde ich zwei Monate lang gequält, wegen eines Schreibfehlers, der auf dem Hauptverbandsplatz unterlaufen war.

Ich wurde auf den anderen Tag verbunden. Der untere Verband auf der Wunde wurde nicht abgemacht. Als aber die Wunde sehr am Eitern anfing, ließ man sich herbei, den ganzen Verband abzunehmen. Was geschah: Tausende Würmer vervölkerten den Verband. Jetzt konnte ich mir das schmerzhafte Krippeln unter dem Verband erklären. Zunächst große Beratung "Wie konnte das passieren?", aber aus diesem Vorfall eine Lehre zu ziehen war weit gefehlt. Ich wurde weiter jeden zweiten Tag verbunden, dabei wurde hier und da geschnitten. Ich kam weiter im Streckverband zu liegen. An der Zugkordel hing ein großes Teil von einer Maschine.

Nach zirka sieben Wochen schmerzhafter Behandlung kam in dieses Lazarett ein neuer Chefarzt. Nachdem ich diesem vorgestellt wurde, verordnete dieser eine sofortige Röntgenaufnahme, die auch sofort erfolgte. An Hand des Röntgenbildes sahen sie erst, was mit meinem Bein los war. Die Wunde wurde untersucht und gereinigt. Man holte aus der Wunde einen Fleischerteller voll Knochensplitter heraus, die mir gezeigt wurden. Bei der nächsten Visite sagte er mir, ich hätte im Bein 30 cm, wo kein Knochen mehr vorhanden sei. Er müsse das Bein absetzen, natürlich wenn ich das nicht wollte, dürfe er das nicht.

"Herr Chefarzt, muss das sofort geschehen?"
"Nein, Sie müssen sich zuerst stärken."<

Bei dieser Gelegenheit muss ich unsere Verpflegung in diesem erwähnen:

Damit sollen kranke Menschen sich stärken! Ich habe mehrere Male um eine trockene Kartoffel gebeten.

"Leider, wir haben keine!"

Nachdem mir die Krankenschwestern und Sanitäter geraten hatten, das Bein absetzen zu lassen - ich bekäme nachher ein Kunstbein, dann könne man überhaupt nicht sehen, dass ich ein Bein ab hätte. Bei der folgenden Visite teilte ich dem Chefarzt meinen Entschluss mit. Dieser war sehr erfreut darüber. Am folgenden Morgen ging es dann los - das Datum ist mir entfallen. Ich bin auch nichts von dem Absetzen des Beines gewahr geworden.

Als ich wieder zu Bett lag und der Ätherrausch entschwand, hatte ich das Gefühl, das Bein sei noch da. Erst als ich die Decke zurück schlug, sah ich, was mit mir geschehen war. Ein Krüppel für das ganze Leben!
Die Fieberkurve fiel von 39 bzw. 42 auf normal 37. Dass ein Mensch mit 42 Grad Fieber sterben muss, ist bei mir nicht in Erfüllung gegangen.

Gott verlässt die Seinen nicht! Eines Nachts erschien bei mir ein Priester und sagte zu mir:

"Sie möchten wahrscheinlich einmal beichten und kommunizieren."

Das Beichten wurde sofort erledigt. Die Nacht darauf brachte er mir die hl. Kommunion. Bei der darauf folgenden Unterhaltung stellte sich heraus, dass der Priester ein Pater aus dem Kloster Valkenburg, Holland war. Er war Divisionshilfspfarrer. Er kam mich noch mehrere Male besuchen. Das Eigentümliche war: er ging zu keinem anderen Verwundeten. Er hat auch meinem Vater mitgeteilt, dass ich ein Bein abgesetzt bekommen hätte.

In diesem Zusammenhange sei noch Folgendes mitgeteilt: Sonst kam der kath. Divisionspfarrer jede Woche. Der ging den Saal hinauf, hielt eine kurze Predigt, ein Vaterunser, den Segen und verschwand wieder durch die Mitte. Er ging zu keinem verwundeten Soldaten.

Auch kam jede Woche der evgl. Divisionspfarrer. Dieser ging zuerst rechts des Mittelgangs zu jedem Verwundeten und sprach zu jedem ein tröstendes Wort. Oben angekommen hielt dieser auch eine kurze Predigt, sprach seinen Segen und ging links des Mittelganges zu jedem Soldaten. Bei mir verweilte er längere Zeit. Ich erfuhr, dass er aus Sachsen war. Er war überhaupt ein sehr sympathischer Mensch.

Folgendes sei noch berichtet: Eines Tages ging ein Freund an meinem Bett vorbei und suchte mich wahrscheinlich. Dieses war Gerhard Gillissen aus Luchtenberg. Er erkannte mich aber nicht. Erst als ich ihn anrief wurden seine Augen geöffnet und er erkannte mich. Dieser Gerhard Gillissen hatte von zu Hause gehört, dass ich in Rethel im Lazarett lag. Er war Chauffeur bei einem General und dieser hatte in Rethel etwas zu tun.

Photo: Peter Schlebusch, Bensheim 1915
Lazarett Bensheim
(1915)

Bildquelle: Ratheimer Chronik
von Peter Schlebusch

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Ich erholte mich den Verhältnissen entsprechend sehr schnell. Als ich nun transportfähig war, wurde ich in einen Lazarettzug geladen und kam in dem Reservelazarett "Schule" in Bensheim an der Bergstr. an. Dieses Lazarett war eine ehemalige evgl. Schule. Was ich in dem Kriegslazarett Rethel vermisst hatte, wurde mir hier doppelt das Gegenteil zuteil. Gute Pflege und Verpflegung. Die uns pflegenden Rote-Kreuz-Schwestern waren alle Bensheimerinnen. Wenn diese uns mittags versorgt hatten, gingen diese nach Hause um Mittag zu essen. Bei dieser Gelegenheit brachten sie uns von zu Hause immer etwas Leckeres mit, zumal die eine eine Bäckers- und die andere eine Metzgerstochter war. Die mich pflegende Rotkreuzschwester war eine Lehrerswitwe und besonders sehr lieb. Mit den Leckerbissen wurde ich besonders gut bedacht, vielleicht, weil ich der Schwerstverwundete war. Meine größten Schmerzen waren jetzt: ich war auf drei Stellen durchgelegen. Arzt und Schwestern waren bemüht, mir das erträglich zu machen.
 

Ein freudiger Zwischenfall oder Gottesfügung

Am dritten Tag meines Aufenthaltes im Lazarett Bensheim wurde mir Besuch gemeldet. Ich war natürlich gespannt, was das für ein Besuch sei, denn ich hatte noch gar nicht nach Hause geschrieben. Der Besuch, ein großer Herr, kam und stellte sich vor.

"Ich bin der Gärtner und Kutscher der Freiin Auguste Spiehs von Büllesheim", dessen Stammhaus in Ratheim sei.

Dieser Herr bestellte Grüße von seiner Herrin, ließ sich nach meinem Befinden erkundigen und ob ich evtl. Wünsche hätte. Da es mir den Verhältnissen entsprechend gut ging, hatte ich keinen anderen Wunsch, als bald nach Hause zu kommen. Darauf ließ der Herr sich nicht ein. Ich überließ es der Freiin nach eigenem Ermessen.

Nach ungefähr zwei Stunden kam ein Fräulein mit weißer Schürze und auf dem Kopf ein weißes Häubchen, im Arm einen großen Korb. Der Inhalt des Korbes war folgender: gekochter Schinken, gekochte Eier (das  Salz war noch nicht vergessen), Zwieback, zwei Flaschen Wein und eine Flasche Cognac. Eine Kiste mit 100 Zigarren und eine Schachtel mit 100 Zigaretten. Ein Gruß von der Freiin, das Essen und Trinken müsste ich selbst besorgen. Die Rauchwaren könne ich nach meinem Gutdünken unter meinen Kameraden selbst verteilen. Ich sollte mich so einrichten, diese Sendung käme alle 14 Tage. Ehe ich aber von hier fortginge, möchte ich sie besuchen kommen, ich könnte dann meinen besten Kamerad mitbringen.

Diesen Besuch habe ich dann auch gemacht. Diese Freiin war 82 Jahre alt und konnte nur mittels Stock im Zimmer umher gehen. Nach einem guten Kaffee und einer guten Flasche Wein und nachdem ich ihr allerhand von Haus Hall erzählt hatte, nahm ich wieder Abschied. Ich habe mich noch lange mit ihr geschrieben. Sie ist hier in Ratheim in der Familiengruft unter der Kirche beerdigt.

Photo: Peter Schlebusch 1916
Peter Schlebusch im Lazarett
(1916)

Bildquelle: Ratheimer Chronik
von Peter Schlebusch

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Aus diesem Grunde war ich in dem Lazarett angesehen wie ein Prinz. Pfingsten 1916 fuhr ich mit unserer Stationsschwester Maria mit einem Doppelspänner durch die Gegend spazieren. in einem Ausflugslokal wurde Kaffee getrunken. Gegen 7-Uhr abends waren wir wieder zu Hause. Ob dieses auch im Auftrage der Freiin geschehen ist weiß ich nicht.

Es sei noch bemerkt, dass mir im Lazarett das E.K.II nachgeschickt wurde, nachdem man von meinem Vater die Adresse erfahren hatte. Eines Tages frug der Arzt, wer von den Schwerverwundeten noch nicht das E.K. hätte. Als er erfuhr, dass ich das schon hätte, wollte er das E.K.I für mich beantragen, was ich aber ablehnte, weil ich es nach meinem Dafürhalten nicht verdient hätte.
 

Freimaurerloge Rheydt

An einem schönen Sommertag 1916 kam ich unter Begleitung eines Sanitäters in Rheydt an. Ich wurde dem Vereinslazarett "Loge" überwiesen. In diesem Lazarett waren nur Leicht- und Genesende Verwundete untergebracht. Die Verpflegung hier war fürstlich. Eine bessere konnte man sich gar nicht wünschen:

Jeden Abend kam ein Herr und übergab jedem Verwundeten zwei Zigaretten. Eine große Tabaksdose wurde mit dem besten Tabak gefüllt, wovon ich reichlich Gebrauch machte. Die Frauen der Logenmitglieder besorgten das Kochen abwechselnd und die Töchter servierten uns das Essen. Ein Arzt mit Namen R. Kaiser, Arzt für innere Krankheiten, auch Mitglied der Loge, betreute uns. Bei der Visite sagte dieser Arzt immer zu mir: "Sie haben Zeit!"
Eines morgens hieß es: "Dr. Kaiser ist diese Nacht an einem Herzschlag gestorben."

Während dieser Lazarettzeit in Rheydt besuchte ich kaufmännische Kurse, die in der Kunst- und Gewerbeschule in Rheydt abgehalten wurden. Diese Kurse waren für uns Soldaten unentgeltlich. Wir wurden in Maschinenschreiben, Stenografie und Buchführung unterrichtet. Schreibmaterial, Papier usw. wurde alles von der Stadt Rheydt bezahlt.
 

Etwas über die Freimaurer

Im Speisesaal hing ein Spruch, betitelt "Unser Glaube". Der Inhalt dieses Spruches war ungefähr wie folgt:
Wir glauben an ein höheres Wesen. Aber dieses höhere Wesen ist so erhaben, dass es sich um die armen Menschenkinder nicht kümmert. Darum soll jeder Mensch sich sein Leben so einrichten, wie er es für gut hält, denn nach seinem Tode ist alles aus.

Jede Woche hatten die Logenbrüder einen Weinabend, wo es normal zuging. Wenn sie aber zum Kultabend zusammen kamen, war es etwas unheimlich. Wie es in dem Kultraum aussah, war nicht zu beobachten. Der Raum lag im oberen Stock. Die Fenster waren schwarz gestrichen und die Türen verschlossen. Zu der Kultveranstaltung kamen sie in schwarz und Zylinder. Wenn zwei zusammen kamen, die sprachen nicht miteinander, oder man traf sich am Eingangstor zusammen, stumm reichte man sich die Hand, aber kein Wort wurde gesprochen. Auch mit uns Soldaten sprachen sie dann kein Wort. Was in dem Kultraum geschah, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Türen waren auch verschlossen, dass kein Laut nach außen klang. IN unserem Schlafraum hingen die Bilder von Kaiser Wilhelm I und von Friedrich III. Beide in Feldmarschallsuniform, angetan mit einer Maurerschürze und einer Maurerkelle in der Hand. Das Bild von Kaiser Wilhelm II hing nicht dort. Es wurde uns gesagt, auf dem Sterbebett hätte Friedrich der III von seinem Sohn Wilhelm das Versprechen abgenommen, niemals in die Freimaurerloge einzutreten. Dieses wird wohl auch der Grund gewesen sein, dass wir den Krieg 1914-18 verloren haben.
 

Lazarett Bonn

Als meine Beinstumpfwunde so weit hergestellt war, wurde ich zu einem Lazarett in Bonn verlegt zwecks Anfertigung eines Kunstbeines. Dieses Lazarett war die Beethovenhalle. Die Firma Faschingbauer wurde mit der Anfertigung des Kunstbeines beauftragt. Diese orthopädischen Institute waren damals noch Mangelware. Das Kunstbein war aus Leder mit Messingschienen und wog 7 Pfund. Die ersten Gehversuche waren schwer, es drückte überall. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles - der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

In diesem Lazarett war ein Kamerad, der mir aufs Haar glich und auch das rechte Bein verloren hatte. Ich wurde des Öfteren für die Untaten dieses Kameraden verantwortlich gemacht.

Betr. des Kunstbeinbaues ist man heute auch weit vorangeschritten. Heute macht man die Kunstbeine aus Weide oder Leichtholz. Darum sind die Kunstbeine heute nicht mehr so schwer.
 

Ersatz Batl.

Als ich einigermaßen mit dem Kunstbein fertig werden konnte, wurde ich zum Ersatz Batl. entlassen, wo ich dann eines Tages eintraf und der Verwundeten Komp. zugeteilt wurde. Ein Lob dem Feldwebel (Spieß) dieser Komp. Seine größte Sorge war, dass ich gut zu essen und ein gutes Bett zum schlafen bekam. Er überwies mich deshalb dem Krankenrevier. Dieser Feldwebel war während meiner aktiven Dienstzeit der Vizefeldwebel.
Am anderen Tag wurde ich dem Stabsarzt vorgestellt. Dieser bemängelte die Zusammenheilung des Beinstumpfes und erklärte, ehe ich entlassen würde, müsste ich noch mal operiert werden. Auf meine Bitte wurde ich wieder meinem Heimatlazarett Rheydt überwiesen. Jetzt kam ich ins Reservelazarett Rheydt Krankenhaus.
 

Krankenhaus Rheydt

Hier wurde ich vom Stabsarzt der Reserve Dr. Theil operiert. Zuerst wurde ich aber gebadet. Damit ich beim Baden nicht verunglückte, blieb eine Rotkreuzschwester an meiner Badewanne sitzen. Auch hier kam mein Vater mich besuchen und weinte, dass ich operiert werden musste.

In diesem Zusammenhang muss ich noch erwähnen, dass mein Vater mich auch in Bensheim besucht hatte. Die Unkosten übernahm die erwähnte Freiin von Spies Büllesheim.

Nach 14 Tagen wurde ich aus dem Reservelazarett Krankenhaus Rheydt als geheilt zum Ersatz Batl. entlassen. Im Ersatz Batl. angekommen bekam ich bis zur Entlassung Urlaub. Wenn meine Papiere fertig wären, bekäme ich Bescheid.
 

Meine endgültige Entlassung

Nach 14 Tagen wurde ich dann endgültig aus dem Heeresdienst als 80% kriegsbeschädigt entlassen. Nachdem ich die Stammrolle anerkannt hatte frug mich der entlassende Hauptmann, ob ich einmal mit einem Gendarm Streit gehabt hätte. Als ich mich nicht sogleich erinnern konnte, sagte der Hauptmann, ich brauche keine Angst zu haben, die Angelegenheit sei durch den Krieg amnestiert.

Die Rur führte Hochwasser. Oberhalb der Rurbrücke in Hilfarth hatte die Rur eine halbe Straße fortgeschwemmt und es bestand sogar für gegenüber liegende Häuser Gefahr. Es wurden die 7. Pioniere von Köln zur Hilfeleistung angefordert. Bei dieser Gelegenheit bekamen wir Streit mit einem Gendarm. Als dieser seine Waffe ziehen wollte, warfen wir ihn über eine Hecke ins Wasser. Kurze Zeit vor dem Krieg hatte man herausgefunden, wer die Missetäter waren. Durch den Krieg wurde alles niedergeschlagen. Der Ehrenbürgermeister von Spiehs wird auch wohl das Seine dazu beigetragen haben, weil ein Angehöriger seines Personals auch dabei gewesen war.

 


Nächstes Kapitel: Bei Glanzstoff (1917-1925)