Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Nach der Entlassung

aus dem Anhang der Ratheimer Chronik von Peter Schlebusch, aufbereitet von Helmut Winkens

Photo: Familie Schlebusch 1911
Familie Schlebusch (1911)

vorne: M.Kath. Schlebusch, Sybilla Goertz,
Klementine Loerkens, M.Kath. Gillissen
mitte: Wilhelm Schlebusch,
Ewald Loerkens, Maria Loerkens, ?
hinten: Anton Koenen, Wilhelm Weidner,
Hubert Schlebusch, Peter Schlebusch

Bildquelle: Ratheimer Chronik
von Peter Schlebusch

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"Zu Hause angekommen fängt ein neues Leben an", so heißt es [in] dem Reservelied. Ich machte wieder Körbe und half Vater in der Landwirtschaft. Nachdem in der Korbindustrie wieder einmal eine Flaute kam, meldete ich mich auf der Glanzstofffabrik Oberbruch und kam in die Sulfudierung. Jetzt wurden schon zirka 25-Mark pro Woche verdient. Da diese Arbeit sehr ungesund war, hörte ich nach zwei [?] dort wieder auf. Ich fing zu Hause wieder die alte Arbeit an. Zwischendurch habe ich auch schon einmal Kies gemacht, einmal mit meinem Bruder Hubert und ein andermal mit meinem Nachbar Heinrich Schafhausen. Bei guter und schwerer Arbeit verdiente man dabei 3-Mark pro Tag.


1911

Herbst 1911 fand bei Dahlheim ein großer Waldbrand statt. Damals hieß es, dieser Brand sei von den Franzosen gelegt worden, um im Falle eines Krieges freies Schussfeld zu haben.

Das Herbstmanöver des 8. Armeekorps fand in hiesiger Gegend statt. Es hieß eines Tages, hinter Dremmen würde Biwak bezogen. Ich marschierte mit noch fünf Freunden, die alle des Kaisersrock getragen hatten, gegen Dremmen. In Dremmen erfuhren wir, dass mein Truppenteil, die 4. Komp. des Pionier Batl.8 bei Ütterath in einem Acker im Biwak lagen. Wir bewaffneten uns alle mit einer Flasche Schnaps und zogen gegen Ütterath. Plötzlich "Halt, werda?" ein Posten. Dieser Posten war mein Stubenkamerad Hermann Winter. Wäre ich im Februar nicht entlassen worden, wäre ich ja auch dabei gewesen. Er erklärte uns, wo die einzelnen Kameraden im Zelt lagen. Wir steckten nun unsere Flaschen den Kameraden zu und sahen uns im Lager etwas um und gewahrten ein Biwakfeuer. An diesem Feuer saß der Feldwebel mit seinen Unteroffizieren. Als ich nun auch den Feldwebel begrüßen wollte, brüllte dieser mich an:

"Also Sie sind das, der das Lager in Aufruhr gebracht hat. Machen Sie, dass Sie fortkommen, sonst lasse ich Sie verhaften!"

Meine Freunde musste ich zurückhalten, die wollten dem Feldwebel an den Kragen.

Auf einer Wiedersehnsfeier im Jahre 1934 in Koblenz frug ich den ehemaligen Feldwebel, warum er damals so böse gewesen sei. Er konnte sich des Vorfalls noch genau erinnern. Zunächst war der Zutritt zu dem Lager für Civilisten streng verboten. Außerdem wäre das Lager in großer Erregung gewesen, als man von meiner Anwesenheit erfahren hatte.

"Was meinst Du", fragte er, "was ich anderen Morgen für eine Arbeit gehabt habe, um die Kompanie zu formieren. Alle waren noch besoffen."

Später wurde dieser Feldwebel Abteilungsleiter des Hauptversorgungsamtes in Koblenz, das in der Pionier-Kaserne untergebracht war. Also brauchte er die Tabette nicht zu ändern.


1912

Im Herbst 1912 wurde ich zu einer 28 tägischen Reserveübung bei den 15er Pionieren nach Straßburg eingezogen. Mit 35 Reservepionieren aus dem Bezirkskommando Rheydt fuhren wir unter dem Kommando eines Sergants nach Straßburg, wo wir zu einer kriegsstarken Reservekompanie zusammen gestellt wurden. Alle Vorgesetzten waren aus dem Reservestand, mit Ausnahme des Hauptmanns, eines Leutnants und zwei Unteroffizieren. Diese Übung war für mich eine Spielerei, nur dass das Essen sehr schlecht war. Aus hiesiger Gegend war ein Mathias Küppers aus Waldenrath bei mir, der Straßburg gut kannte, weil er dort Soldat gewesen war. Dieser wurde aber nach 14 Tagen nach Hause reklamiert, weil er zu Hause eine Schreinerei betrieb und die Mutter allein war.

Eine genaue Kontrolle über den Mannschaftsbestand bestand nicht. Einen Kamerad aus M.Gladbach habe ich nur auf der Hinreise und auf der Rückreise gesehen. Gleich nach der Ankunft in Straßburg war er dort untergetaucht. Einen Kamerad sah ich nur morgens beim Aufstehen, dann war er plötzlich verschwunden.

Während den 28 Tagen, die nur mit etwas Exerzieren und  in der Hauptsache mit Behelfsbrückenbau ausgefüllt waren, wurde nur ein Mann (wegen groben Unfugs) mit drei Tagen bestraft, die eigentlich mir zukamen. Wäre diese Strafe nicht geschenkt worden, hätte ich mich gemeldet, denn die drei Tage mussten nach der Übung abgesessen werden.

Als am letzten Tag der Hauptmann von uns Abschied nahm und uns

"Auf Wiedersehn, Leute" zurief, erscholl bald einstimmig:
"Leck uns am Aasch".

Dieses tat mir für den Hauptmann leid. Er stutzte im Moment, gab dann seinem Pferd die Sporen und ritt im Galopp davon.

Während dieser Übung war die so genannte Marokkokrise und es hieß schon: Ihr kommt nicht nach Hause. Wir waren schon bestimmt, im Falle eines Krieges einen in der Nähe befindlichen Eisenbahntunnel zu besetzen. Es hat damals noch einmal gut gegangen.


[ 1913 ]

1913 starb meine lb. Mutter. Ich war allein an ihrem Sterbebett und habe ihr die lb. Augen zugedrückt. Ich war nun mit Vater allein, denn die drei Brüder waren verheiratet. Vater wollte ich soll heiraten und hatte schon eine Frau für mich ausgesucht, die mir aber nicht gefiel. Auch ich hatte mit einigen Mädchen von Ratheim angebändelt, auch diese gefielen mir nicht. Auf der St. Martinskirmes in Orsbeck lernte ich ein Mädchen kennen, das bei von Rohmen in Orsbeck auf Besuch war. Leider war das Mädchen aus Waldfeucht. Wir waren uns beide sehr zugetan. Absprachegemäß sollte ich sie in Waldfeucht besuchen.

Eines Sonntags, das Wetter war sehr schön, fuhr ich mit meinem Fahrrad gegen Waldfeucht. Nachdem ich ein Stück hinter Heinsberg war, begegnete mir ein Mann, den frug ich, wie weit es noch bis Waldfeucht [sei].

"Noch einmal so weit, wie du von Heinberg entfernt bist."
"Danke schön"

und drehte mein Fahrrad um und fuhr wieder nach Garsbeck zurück. Aus meiner Heirat wurde nichts.

1913 erinnere ich mich noch der goldenen Hochzeit der Eheleute Merkens in Krickelberg. Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch ein Mädchen kennen, aber zur Heirat reichte es nicht. Wie ich nachher erfuhr, war das Mädchen aus Waldfeucht, die alleinige Tochter eines Apothekers, der sehr reich war.
 

[ 1914 ]

1914 bekam ich den zweiten Gestellungsbefehl zu einer Reserveübung nach Koblenz. Am Montag bekam ich auf ein Gesuch [Bescheid], dass ich von der Übung befreit sei, mich aber auf die nächste Übung bereit halten soll. Am Samstag darauf war Mobil. Der darauf folgende Sonntag, der 2. August war der erste Mobilmachungstag. Der Mobilmachungsbefehl wurde an unser Haustor angeschlagen. Laut meines Militärpasses musste ich mich am ersten Mobilmachungstag, nachmittags um 9-Uhr in der Turnhalle in Rheydt stellen.

Dazu kam nun folgendes Zwischenspiel. [Ich war] an dem betr. Samstag vor dem ersten Mobilmachungstag, beim Friseur um mir das Haupt und das Gesicht glatt rasieren zu lassen. Ich saß unter der Schere als plötzlich mein Freund und Nachbar herein gestürmt kam und rief

"Peter du musst sofort fort, dass ist eben bekannt gemacht worden: alle die im Militärpass stehen haben am ersten Mobilmachungstag sich zu melden, müssen sich sofort beim Bezirkskommando Rheydt melden."

Ich lief sofort nach Hause auf Garsbeck um mir das was im Pass vermerkt ist, zu holen, ein Paar Strümpfe, Löffel u. Lebensmittel für ein Tag. Als ich nun kurz Abschied von meinem Vater genommen hatte und nach Ratheim kam, waren die anderen schon mit einem Pferdefuhrwerk unterwegs. Ich zum Bürgermeisteramt und frug den Ehrenbürgermeister Spiehs von Büllesheim, wie ich nach Rheydt käme.

"Sie sind Soldat gewesen, das müssen sie selbst wissen".

Mein Vetter Karl der draußen wartete, organisierte zwei Fahrräder und wir fuhren gegen Baal, in der Hoffnung, dass von dort noch Züge fahren würden. Während wir nun durch Hückelhoven fuhren - die Straße am Bahnhof vorbei gab es noch nicht - wurden wir in der Nähe
der Kirche von einem Posten mit vorgehaltenem Gewehr angehalten und wollte uns nicht durchlassen obschon ich den Posten gut kannte. Es war ein Hubert von den Driesch aus Dremmen. Wir waren uns noch mit dem Posten am herum streiten, als ein Wagen sich näherte. In dem Wagen saß ein Barten aus Altmyhl mit seinem Sohn, der dasselbe Anliegen hatte wie ich, aber schon in Baal gewesen war, wo auch keine Züge mehr nach Rheydt fuhren. Ich setzte mich auch im Wagen und wir fuhren gegen Rheydt. Bei anbrechendem Tag waren wir diesseits Rheindahlen und das Fuhrwerk von Ratheim kam schon zurück. Auf dem Bezirkskommando hatte man gesagt, die Eintragungen im Militärpass seien maßgebend. So fuhren wir alle wieder zurück nach Ratheim. Gegen 11-Uhr morgens kamen wir in Ratheim wieder an. Fürs erste war der Krieg vorüber.

Nachmittags hieß es aber endgültig Abschied nehmen und [ich] langte abends gegen 9-Uhr in Rheydt in der Turnhalle an. Diese wimmelte schon von Reservisten, hauptsächlich waren es Kavalleristen, Jäger, Schützen und Pioniere. Die anwesenden Offiziere waren schon in Feldgrau. Gegen 12-Nachts mussten die Kavalleristen antreten und wurden nach Regimentern eingeteilt: Kürassiere, Ulanen, Dragoner, Husaren und Jäger zu Pferde. Nachdem diese abmarschiert waren, kamen die Jäger und Schützen an die Reihe. Als diese abmarschiert waren, kamen wir Pioniere an die Reihe.

Als der Morgen graute ging es per Eisenbahn auf Koblenz zu. Ein Teil von uns kam zu den 8. Pionieren, ein anderer Teil zu den 30. Pionieren, die auf dem Asterstein lagen. In der Kaserne angekommen wurden wir in das Exerzierhaus geführt, wo alle Bekleidungsstücke auf Haufen aufgestapelt lagen. Jeder zog sich das an, was ihm passte. Alles neu.
Auf dem Kasernenhof lag ein haushoher Strohhaufen, der unser Nachtquartier war. Laut Befehl durften wir die Kaserne nicht verlassen, weil wir jeden Augenblick abberufen werden konnten. Aber trotzdem gingen wir morgens, nachdem wir uns gewaschen hatten, in die Stadt. An jeder Ecke standen Tische mit belegte Brötchen, Kaffee und Kakao. Wenn wir uns am ersten Tisch satt gegessen hatten, gingen wir weiter. Auf dem ganzen Weg wurden wir zum Essen eingeladen. Abends zogen haufenweise die Jungens und Mädchen durch die Straßen von Koblenz und sangen u.a. "Siegreich wollen wir Frankreich schlagen" oder "Die Engländer sind alle Verbrecher". Die Begleitung war eigentlich zu groß.

Bei der Einteilung kam ich zur 2. Feldkompanie im aktiven Batl. Wir bildeten aus dem Kreis Heinsberg eine ganze Gruppe von acht Mann, davon waren zwei, die aktiv dienten. Dieses waren ein Freisinger aus Wassenberg und ein Christian Kohnen aus Oberbruch. Beim Vormarsch war dieser Freisinger plötzlich vermisst. Wie ich aber nach dem Krieg hörte, wäre dieser übergelaufen. Am zweiten Tag unseres Kasernenaufenthaltes stand ich mit noch anderen Kameraden auf dem Kasernenhof und [wir] unterhielten uns. Plötzlich gesellten sich zwei Zivilisten zu uns. Diese waren: Heinrich Gillissen aus Ratheim, aus Luchtenberg gebürtig, und Hubert Adams aus Orsbeck. Sie wollten sich freiwillig melden, konnten aber nirgends landen, man hatte Freiwillige zu viel. Bei den 65ern in Köln sind sie endlich untergekommen. Gillissen ist gefallen und Adams ist schwerverwundet worden.
 


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