und unsere Gemeinschaft der Gemeinden
aus dem Anhang der Ratheimer Chronik von Peter Schlebusch, aufbereitet von Helmut Winkens
Während ich fünf Jahre jünger war wie mein jüngster [?] Bruder musste ich 1909 bei dem Pionier Batl.No.8 in Koblenz Soldat werden. Obschon ich rechts fast erblindet bin - wird wohl mit der Verletzung des Auges zusammenhängen - musste ich doch Soldat werden. Weil ich noch allein zu Hause war (alle anderen Brüder waren verheiratet) wurde ein Gesuch wegen Befreiung vom Militärdienst abgelehnt. Ebenfalls ein zweites Gesuch ans Generalkommando 8 in Koblenz fand seine Ablehnung. Ein drittes Gesuch an den obersten Kriegsherrn Kaiser Wilhelm II hatte den Erfolg, dass dieses Gesuch, wenn ich ein Jahr Soldat gewesen sei, wiederholt werden konnte. So musste ich dann am 14. Oktober 1909 zum Pionier Batl.No.8 in Koblenz einrücken und kam zur 4. Kompanie.
Meine Vorgesetzten waren: Major und Batl.Kommandeur Breissig. Mein Kompaniechef war Hauptmann Brennig. Oberleutnant Kössling. Der Rekrutenleutnant, der unsere Ausbildung leitete, war
Leutnant Renius, Fähnrich nachher Leutnant Fritz. Leutnant Renius war 19 Jahre alt und Leutnant Fritz 18 Jahre. Feldwebel oder Spiehs genannt hieß Würger und Vizefeldwebel
Fricke, Sergant Billing. Die Unteroffiziere waren Ares, Deter, Dieck, Scheer, Querbach, Fischbach, Erpenbach, Eitelbach, Sellbach und Auerbach. Kammerunteroffizier hieß Maans.
Mit allen Vorgesetzten bin ich gut ausgekommen, nur mit dem Serganten Billsing und mit dem Unteroffizier Fischbar nicht. Darüber später.
Am zweiten Tag unseres Soldat sein wurden wir eingekleidet. Alles passte, auch das was nicht passte. Zunächst wurde mit Exerzieren angefangen, denn wir konnten noch nicht gerade stehen,
geschweige gehen. Besonders wurde auf das militärische Grüßen Wert gelegt.
Ich kam in der zweiten Korporalschaft unter den Befehl des Unteroffiziers Deter und später Unteroffizier Querbach. Bei der Kompanieeinteilung kam ich in den zweiten Zug und war rechter
Flügelmann.
Unser Dienst war abwechslungsreich. Auf dem Wasserübungsplatz auf der Halbinsel Oberwert wurden wir zunächst mit dem Pontonfahren bekannt gemacht. Dann gab es Kriegs- und Behelfsbrückenbau. Mit Material zum Brückenbau wurde genauso exerziert wie mit Gewehr. Auf dem Landübungsplatz, rechts der Karthause, wurden wir im Sprengen und Stollenbau unterrichtet. Auf dem Kasernenhof mussten wir dann nebenbei genauso exerzieren wie die Infanterie. Besonders wurde der Parademarsch geübt, denn im Januar war Kaisersgeburtstag. Dann fand vor dem Korpskommandant des 8. Armeekorps, Freiherr Peter von Plötz, General der Infanterie (Plötze Pitter im Volksmund von den Soldaten genannt), die große Garnisonsparade auf dem Clemensplatz in Koblenz statt.
Am zweiten und dritten Sonntag nach unserem Eintritt wurden wir korporalschaftsweise ausgeführt um die Stadt kennen zu lernen. Am ersten Sonntag, wie wir ausgeführt wurden, geschah folgendes. Ein Kamerad einer anderen Korporalschaft hatte sich in der Stadt von den anderen abgesondert und kam erst gegen 10-Uhr in die Kaserne, während wir schon gegen 8-Uhr da waren. Der betr. Kamerad lief dem Unteroffizier vom Dienst in die Quere. Als dieser ihm Vorbehalte machen wollte, warf er ihn einfach die Treppe herunter. Die Folge: 2 Jahre Festung. Wären wir schon vereidigt gewesen, hätte er 4 Jahre Festung bekommen. Diese zwei Jahre Festung musste er nach seiner Dienstzeit nachdienen.
Der Kamerad, der über mir schlief, wurde nach 14 Tagen wegen Untauglichkeit entlassen, wegen Gelenkrheuma. Jetzt kam in mir die Entschlossenheit, mich auch vom Militär zu drücken. Nachdem wir nach drei Wochen das Gewehr, die Braut des Soldaten, erhielten und uns die Frage gestellt wurde, wer schlechte Augen hätte müsse sich melden. In mir reifte sofort der Gedanke "jetzt ist es Zeit!" und meldete mich. Die Folge war eine Untersuchung von einem Augenarzt im Lazarett. Nachdem ich bald 100 Brillengläser ausprobiert hatte und keine mein Augenlicht verbessern konnte, wurde das Auge r. einer Untersuchung unterworfen. Das Resultat war:
"Dann schießen Sie eben links".
Dieses Linksschießen hat mir oft Unannehmlichkeiten bereitet. Aber davon später.
Dann kam die Vereidigung. Ein schöner Tag. Morgens war feierlicher Kirchgang. Darauf folgte auf dem Kasernenhof die Vereidigung. Ein Mann musste seine Hand auf die Fahnen legen und wir alle mussten die Eidesformel nachsprechen. Jeder wurde auf den obersten Kriegsherrn und Landesherrn vereidigt, das heißt, wer nicht Preuße war musste den Eid extra ablegen. Mittags gab es gutes Essen und einen freien Tag.
Nachdem wir das Gewehr erhalten hatten fing auch der Schiessunterricht an und zwar bei dem genannten Sergant Pillsing. Als dieser sah, dass ich links zielte, fing der ein Gebrüll an und
brauchte Schimpfworte, die in keinem Lexikon stehen, wie "scheeles Schwein", "Unzierde der deutschen Armee" u.a. Zu Anfang ärgerte ich mich darüber, doch nachher dachte ich: leck mich
in ... .
Endlich kam die erste Schießübung von sieben, liegend aufgelegt 400m, die ich glänzend bestand. Die Schießübungen waren eigentlich gute Tage für uns. Wir wurden
korporalschaftsweise zum Schießstand geführt, etwa 5 Km. Nach dem Schießen wieder zurück, sonst keinen Dienst, wie nachmittags Waffenreinigen.
Ehe ich weiter gehe erinnere ich mich noch an eine Begebenheit: Jeden Samstag 12 Uhr hatten wir Appell in kleine Bekleidungsstück, Stiefel, Schnürschuhe, Hemd und Unterhose. Am
dritten Samstag, wir waren schon angetreten, fiel der Appell plötzlich aus. In dem Bewusstsein die Sachen wie Hemd und Unterhose in bester Ordnung zu haben, wurden diese Sachen nochmals
militärisch gebügelt und schön ins Spind gelegt.
Am Samstag darauf fand der Appell statt. Frohgemut nahm ich die Sachen auf den Arm und trat zum Appell an, der vom Hauptmann und Feldwebel abgehalten wurde. Aber o weh! Beim Vorzeigen der
Unterhose zeigte sich ein großer Riss - wahrscheinlich zu hart militärisch gebügelt. Hauptmann und Feldwebel erschreckten noch mehr wie ich. Sie verlangten eine Erklärung,
die ich auch gab, konnte aber eine Stunde Strafexerzieren nicht abwenden. Dieses Strafexerzieren fand am gleichen Tag von 3-4 Uhr statt mit noch fünf alten Leuten, die den Zapfen gewixt
hatten. Die Alten feldmarschmäßig, ich im Exerzieranzug. Der Kammerunteroffizier Maas hielt das Strafexerzieren ab unter Aufsicht des Feldwebels als Portopeeträger. Nach Ansicht
des Feldwebels müsse ich schneller laufen als die Alten, wie die feldmarschmäßig wären. Die Alten zu mir leise:
"Der Teufel holt dich wenn du schneller läufst wie wir!"
Ich habe mich auch an die Alten gehalten. Dieses habe ich auch später nicht zu bereuen brauchen.
Am 27. Januar war Kaisersgeburtstag des obersten Kriegsherrn. Weihnachten zuvor konnten wir alle, die es wollten, in Urlaub fahren, sieben Tage. Am Abend des Urlaubsfahrens konnte ich aber nur bis Erkelenz fahren, von da musste ich zu Fuß nach Hause. Urlaub ist schön und auch wieder nicht schön. Man muss wieder Abschied nehmen. Jeder Abschied ist schwer.
Zu dem Kaisersgeburtstag auch eine kleine Vorgeschichte. Einige Wochen zuvor wurden wir vom Leutnant gefragt, wer Theater spielen könne. Ich als einziger der Kompanie meldete mich.
Der Leutnant frug: Was ich denn schon gespielt hätte?
Ich sagte: u.a. Ziriny.
Leutnant: "Was haben Sie denn darin gespielt?"
"Den türkischen Kaiser", sagte ich.
"Der alte Löwe stirbt - kommt darin vor", sagte der Leutnant.
"Ja."
Zum Theaterspielen kam es nicht, aber jedes Mal, wenn ich beim Turnen am Querbalken hing, rief der Leutnant:
"Der alte Löwe stirbt!"
Der Leutnant war 19 Jahre alt und ich 21. Er war aber ein sehr guter Vorgesetzter, der mit Menschen umgehen konnte. Er ist leider im ersten Weltkrieg als Batl. Adjudant gefallen.
Es kam der 27. Januar 1910. Am Tage vorher fand auf der Kartause die Vorparade statt, sonst am Tage dienstfrei. Am Tage selbst morgens Gottesdienst beider Konfessionen. Gegen 11 Uhr die Garnisonsparade zu Ehren des Kaisers auf dem Clemensplatz. Die Reihe war folgende:
Gegen 2-Uhr nachmittags war das militärische Schauspiel zu Ende. Danach gab es Kaisergeburtstagsessen: Suppe, Sauerkraut mit Kartoffeln und Braten mit Soße. Als Nachtisch gab es
Preiselbeeren.
Abends war Kaisergeburtstagball. Auf diesem Ball durften wir Soldaten auch mit den Offiziersdamen tanzen. Auch dieser Tag, der bis morgens 6-Uhr dauerte, ging vorbei. Tags nachher war
dienstfrei.
Nachdem unsere Grundausbildung beendet war, kam die Kompanievereinigung, das heißt die Rekruten und die alten Mannschaften, zusammen. Sie kamen auf den Stuben durcheinander zu liegen. Der Dienst fing damit an, kompanieweise zu exerzieren. Es fanden größere technische und felddienstmäßige Übungen in Kompaniestärke statt. Es fing überhaupt eine strenge Zeit an. Dieses gefiel mir nicht und ich meldete mich drei Tage hintereinander krank. Das Ergebnis der Untersuchung vom Stabsarzt war: ohne Befund. Am dritten Tag musste ich das Kompaniekrankenbuch dem Feldwebel persönlich abgeben. Die Folge war:
"Binnen fünf Minuten stehen Sie feldmarschmäßig vor meiner Schreibstube!"
Hier muss ich noch folgendes Vermerken: unser Spieß war unverheiratet und hatte ein Verhältnis mit der Tochter des Kantinenwirtes. Jeden Morgen, wenn er die Kompanie abgegeben hatte, ging er zur Kantine um zu frühstücken und trank nachher noch einige Schnäpschen. Mit einem hochroten Kopf kehrte er dann zur Schreibstube zurück. Die Arbeit machte ja der Kompanieschreiber. So auch an diesem Tag. Meine Befürchtung, dass er mich auf dem Kasernenhof hochnehmen würde, erfüllte sich nicht, sondern er schickte mich der Kompanie nach, die auf der Kartause war und ich musste mich beim Hauptmann melden.
Als ich nun den Weg zur Kartause herauf ging, begegnete mir der junge Leutnant Fritz, der ein ganz betröppeltes Gesicht machte. Na, dachte ich, der ist auch krank. Auf der Kartause meldete ich mich beim Herrn Hauptmann, der zu Pferde saß. Es kam zu folgendem Gespräch:
Ich: "Pionier Schlebusch meldet sich zur Stelle."
Hauptmann: "Wo waren Sie?"
Ich: "Krank gemeldet, Herr Hauptmann."
Hauptmann: "Was fehlt Ihnen denn?"
Ich: "Wenn ich laufe, Herr Hauptmann, bekomme ich Herzklopfen."
Hauptmann: "Das glaube ich! Wenn mein Pferd läuft, bekommt das auch Herzklopfen. Also nicht mehr krank melden."
Ich: "Jawohl, Herr Hauptmann!"
Hauptmann: "Weggetreten!"
Zu meinen Kameraden zurück gekehrt, die in Ruhe lagen, frug ich nach Leutnant Fritz. Nach einer Felddienstübung wurde der Parademarsch gemacht. Der Hauptmann befahl:
"Die Herren Offiziere bitte den Degen zu ziehen!"
Leutnant Fritz schlug seinen Offiziersmantel zurück und meldete dem Hauptmann: "Herr Hauptmann, ich habe den Degen vergessen." Er hatte die Scheide um, aber der Degen fehlte.
Hauptmann: "Holen!"
Auch das gab es beim Militär.
In der Woche vor Ostern wurden wir Katholiken geschlossen zur hl. Beichte geführt. Auf meiner Stube waren zwei Kameraden, die seit ihrer ersten hl. Kommunion nicht mehr beichten gegangen waren. Nach der hl. Beichte waren diese wieder froh, mit unserem Herrgott wieder versöhnt zu sein. Tags nachher wurden wir nüchtern zur hl. Kommunion geführt. Ostern gab es wieder sieben Tage Urlaub, wovon ich aber keinen Gebrauch machte. Während dieser sieben Tage hatten wir auch keinen Dienst, mit Ausnahme Wache. Diese musste immer gestellt werden.
Ehe ich mit meinem Bericht fortfahre, muss ich an diesen Karneval denken, der ja vor Ostern war. In dieser Zeit war unser Hauptmann krank, der von seinen Soldaten "der Fatzke" genannt wurde,
weil sein einziges Schimpfwort "Fatzke" oder "Aschloch" war. Oberleutnant Kössling führte während dieser Zeit die Kompanie. Kössling war ein Lebemann, der auch seinen
Soldaten etwas gönnte. So bekam am Karnevalssonntag die ganze Kompanie Urlaub bis zum Wecken. Montags Urlaub bis zwei Uhr und dienstags Urlaub bis 12-Uhr.
Ich war nun an diesen Tagen finanziell sehr gut gestellt. Mein Bruder Heinrich schickte 50 Mark zum Kauf eines eigenen Rockes. Mein Bruder Hubert sandte 5-Mark. In einem Paket, das ich von zu
Hause erhielt, hatte Mutter 3-Mark in der Butter versteckt. Außerdem war Löhnung gewesen. Nach den Karnevalstagen war ich nicht mehr in der Lage, mir einen eigenen Rock zu
zulegen.
An diesen Tagen hatten wir eine so genannte Strauchübung, die von morgens 8- bis nachmittags um 2-Uhr dauerte. Strauchübung war folgendes: In einem Wald an den Kartausenanhöhen mussten wir Faschinen zusammen binden. Dieses waren starke Stöcke, in die Mitte kam Kies und das wurde mit starkem Draht zusammen geknebelt. Diese wurden benutzt, um unwegsames Gelände wegsam zu machen. Von unserem Unteroffizier Querbach wurde ich beauftragt, im Walde Weiden zu suchen und diese abzuschneiden. Während des Suchens kam ich an einen Baum, es war schönes Wetter und ich legte mich hin um etwas zu schlafen. Bald hätte ich das Antreten verschlafen. Der Unteroffizier zwinkerte mit den Augen und schwieg. Ich auch.
Der Kamerad, mit dem ich ausging, war 27 Jahre alt. Diesen hatte seine Mutter Soldat machen lassen, weil er nicht für sie sorgte. Dieser Kamerad war von Beruf Schneider und kam nach 14 Tagen Ausbildung auf die Batl. Schneiderstube. Der hatte auch die Tasche voll Geld. So verging auch der Soldatenkarneval 1910.
Mittlerweile war es Sommer und Pfingsten geworden. Pfingsten gab es wieder sieben Tage Urlaub, wovon ich auch Gebrauch machte. Die Pfingstkirmes in Orsbeck machte ich mit, ebenso ein Freund von mir, der bei dem ersten Garde Reg. zu Fuß in Berlin diente. Paar Tage vor unserer Frühkirmes musste ich zurück zur Garnison. Dieses war sehr bitter für einen jungen Menschen.
Weil es Sommer war hatten wir Pioniere jeden Tag Schwimmübung. Wieder reifte in mir der Gedanke sich zu drücken.
"Wer meint, das Schwimmen nicht vertragen zu können, möge sich melden!"
Auf meine Meldung wurde ich ärztlich untersucht, Ergebnis: tauglich zum Schwimmen.
Im Hochsommer hatten wir die so genannte Rheinübung, die acht Tage dauerte. Am letzten Tag wurde der Rhein bei Vallendar mit einer Kriegsbrücke ganz überbrückt. Es wurde nachts um 12-Uhr bei Mondenschein angefangen und war morgens gegen 6-Uhr fertig. Gegen 7-Uhr kamen der Korpskommandeur des 8. Armeekorps mit seinem Stab, besichtigte die Brücke einen kurzen Kredik und verschwanden wieder. Wir fuhren zwei Joche aus der Brücke aus, damit die angesammelten Schiffe durchfahren konnten. Während dieser Zeit hatten wir Frühstückspause. Dann wurde die Brücke wieder zusammengefahren und der Abbruch mit Verladen begann, das gegen 2-Uhr nachmittags beendet war. Todmüde ging es zur Kaserne zurück. Mittagessen und Bettruhe.
Eines Tages kamen wir mittags vom Dienst in die Kaserne.
"Sofort Essen empfangen und wieder Antreten!"
Durch einen Wolkenbruch hatte die Ahr Hochwasser. Bei Niedrigwasser ist die Ahr friedlich, desto wilder beim Hochwasser. Wir wurden an [...] auf dem Bahnhof verladen und ab ging es Richtung
Ahr. Nach einem Fußmarsch kamen wir spät abends in Rupperath in der Eifel an. In Rupperath war ein Pastor, der in Ratheim als Kaplan tätig gewesen war. Um ihn zu besuchen war
keine Zeit, denn anderentags ging es frühmorgens wieder weiter.
Gegen 10-Uhr kamen wir an der Ahr an, der Ort hieß Insul. Nachdem wir einige Notbrücken hergestellt hatten und die abgeschnittene Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt hatten,
rückten wir nach drei Tagen mittels Lastwagen wieder zur Kaserne ab.
Eines Tages kamen wir mittags in der Kaserne an.
"Ganze Kompanie kehrt, marsch zur Kartause!"
Wir waren kaum da, da kamen nacheinander drei Luftschiffe heran geschwebt. Ein Zeppelin, Parsval und ein Militärluftschiff. Alle drei landeten auf der Kartause. Wir Soldaten mussten nun
diese Luftschiffe an den Tauen festhalten, denn diese hatten einen großen Drang nach oben. Es wurde eine kurze Ferntechnische Übung gemacht und die Luftschiffe entschwanden wieder
unseren Blicken. Es war ein schöner Anblick, wie sich die Luftschiffe ruhig erhoben und ruhig am Himmel fortflogen.
Diese Übung dauerte 2x acht Tage. Diese Übung war eigentlich für uns eine Erholung, denn wir waren in Privatquartieren untergebracht. Der Name des Ortes ist mir entfallen.
Aber genau weiß ich, dass mein erstes Quartier eine halbe Stunde von meinem zweiten entfernt lag.
Am ersten Tag der zweiten Achttageübung besuchten wir nach dem Dienst unser erstes Quartier. Als wir dort durch das Tor hereinkamen stand auf einem Tisch ein Korb reifer Birnen. Die
Wirtin, eine Witwe, ermunterte uns von den Birnen zu essen. Dann ließ sie noch Flaschenbier holen und wir tranken. Aber auf dem Heimweg hatte ich schon ein Rumoren im Bauch, das immer
stärker wurde. Im neuen Quartier angelangt musste ich noch zu Abend essen. Es gab Reibekuchen mit Milchsuppe. Die Reibekuchen schwammen im Fett und mein Magen drehte sich noch mehr herum.
Um die Quartierwirtin nicht zu kränken, aß ich deren zwei und noch etwas Milchsuppe.
"Ich glaube, Sie essen nicht gern Reibekuchen."
Ich ging zu Bett. Kein Auge machte ich zu. Morgens meine Wirtin zu mir: "Sie sehen schlecht aus, sind sie krank?"
"Nein."
Ich ging zum Antreten. Meine Kameraden zu mir: "Mensch, wie siehst du aus? Du bist leichenblass!"
Ich ging zum Feldwebel um austreten zu dürfen. In dem Moment wo ich strammstehen wollte, lag ich schon zu seinen Füßen.
"Tragt das versoffene Schwein dort in die Scheune!"
In dieser Scheune hatten wir unser Depot. Als die Kameraden auf Marsch zum Sprengort waren, kam der Feldwebel und frug, was mit mir los sei. Auf meine Antwort:
"Drei Tage wirst Du wohl bekommen".
Ich habe aber nichts mehr davon gehört. Nachdem ich einmal auf dem Klosett tüchtig mein Bedürfnis gemacht hatte, war ich wieder der Kerl. Nachmittags konnte ich wieder meinen
Dienst aufnehmen.
Dieses Manöver fand zwischen Prüm in der Eifel und Trier statt. Dieses Manöver war wegen den schlechten Wegeverhältnissen in der Eifel sehr anstrengend. Von diesem Manöver ist noch folgendes in meiner Erinnerung:
Eines Tages wurden wir in ein Gefecht verwickelt und mussten ein Maschinengewehr bekämpfen, das auf einer Anhöhe am Rande eines Waldes auf uns feuerte, natürlich nur mit Platzpatronen. Wir gingen kriechend bis zur halben Anhöhe vor, dann mit aufgepflanztem Seitengewehr zum Sturm vor bis vor das Maschinengewehr. In diesem Augenblick kam aus einer Waldschneise eine Schwadron Dragoner und ritt auf uns eine Attacke. Dieses alles ging so schnell, schneller wie ich es erzählen kann. In diesem Augenblick war ein berittener Schiedsrichter bei uns und frug nach dem Truppenteil.
"Dieser Truppenteil ist zweimal tot, außer Gefecht"
Wir konnten uns nun von den Strapazen des Gefechtes hinter einer Hecke erholen und das Gefecht abwarten.
Endlich Signal halt, abrücken in die Quartiere. Wir hatten nun auch noch das Glück, dass unser Quartier in der Nähe lag, auf einem größeren Bauernhof wurden wir mit sechs Pionieren einquartiert. Der Hofbesitzer, unser Quartierwirt, kam mit der Schnapsflasche. Nachdem wir diese ausgetrunken hatten, mussten wir uns zuerst säubern und wurden dann zum Mittagessen eingeladen. Es gab Suppe, dicke Bohnen mit durchwachsenem Speck. Nachdem uns der Quartierwirt eine Schlafstelle angewiesen hatte und wir uns etwas ausgeruht hatten, ging ich mich vor dem [Hof] etwas vertreten. Von ferne hörte ich Singen, das immer näher kam. Es war mittlerweile drei Uhr nachmittags geworden. Ich ließ die Infanterie Kompanie, die den Gesang verursachte, an mir vorbei marschieren, in der Hoffnung, einen Bekannten zu sehen. Meine Hoffnung wurde erfüllt. Inmitten marschierte Johann Minkenberg, der eine Reserveübung bei dieser Kompanie machte. Dieses war an einem Samstag. Sonntags war Manöverball ohne Mädchen. Der Pfarrer des Dorfes hatte am Sonntag vorher den Mädchen empfohlen, [für die] Tage der Einquartierung sich nicht auf den Straßen sehen zu lassen. Auch dieses gab es in dieser Zeit.
Am letzten Tag des Manövers marschierten wir Trier hinein. Plötzlich sahen wir unter uns Trier liegen und dachten: bald sind wir da. Nachdem wir eine Zeitlang marschiert waren,
sahen wir Trier nicht mehr. Nach zwei Stunden erreichten wir dann Trier und wurden in einer Turnhalle einquartiert. Wegen des guten Verlaufs des Manövers erhielten wir ein Kochgeschirr
voll Bier, das der Hauptmann spendierte. Von Trier aus ging es per Eisenbahn nach Koblenz. Die Alten wurden entlassen und wir rückten an deren Stelle.
Nachdem die Alten entlassen waren, wurde nur Arbeitsdienst gemacht und Wache geschoben. Eines Tages kam ich vom Arbeitsdienst zurück und wurde vom Feldwebel angerufen.
"Sie können morgen in Urlaub fahren".
Ich sagte "wie lange?"
"Drei Tage"
"Dann fahre ich nicht!"
Der Feldwebel sagte: "Ihre Mutter will sie einmal sehen."
Da ich wusste, dass meine Mutter krank gewesen war und ich fürchtete, sie habe einen Rückfall erlitten, fuhr ich an einem Samstagmorgen drei Tage in Urlaub.
Als ich nun nachmittags zu Hause auf Garsbeck ankam, war mein Vater auf dem Hof am arbeiten.
"Das ist gut, dass du kommst" war seine Begrüßung. "Durch die Krankheit von Mutter bin ich mit der Feldarbeit im Rückstand geblieben."
"Ja Vater, ich muss am Montag wieder fort, aber beruhige dich, ich komme wieder."
So fuhr ich dann montags wieder zurück. Am Dienstagmorgen bat ich den Feldwebel, den Herrn Hauptmann sprechen zu dürfen. Gegen 11-Uhr morgens kam der Hauptmann immer zur Schreibstube. Halbwegs des Kasernenhofes, wie er aus dem Offizierskasino kam, stellte ich mich ihm in den Weg und nahm stramme Haltung an und bat ihn um 10 bis 14 Tage Arbeitsurlaub.
"Nein, das kann ich nicht."
In kurzen Worten legte ich ihm meine Gründe dar.
"Nein, ich darf Ihnen kein Urlaub geben, denn es sind mehrer da, die Arbeitsurlaub beantragt haben."
Ich nahm eine extra stramme Haltung an und sagte: "Herr Hauptmann, wer will Herrn Hauptmann verbieten, mir Urlaub zu geben?"
Er sah mich an und sagte: "Sie haben recht, kommen Sie mit!"
Wir gingen zur Schreibstube und der Feldwebel musste mir einen Urlaubsschein für zehn Tage ausschreiben.
Abends kam ich wieder zu Hause an. Anderntags schickte ich Vater zum Bürgermeisteramt, man solle da sechs Wochen Arbeitsurlaub für mich am Batl. einreichen und nicht an die Kompanie. Die Unterschrift des Ehrenbürgermeisters und Rittmeisters der Res. fiel ins Gewicht. Die zehn Tage Urlaub gingen zu Ende und ich musste zur Kaserne zurück. Auf meiner Stube angelangt frugen mich meine Kameraden, was ich hier wollte, ich habe doch sechs Wochen Urlaub, das wäre mittags beim Appell verlesen worden. Anderen Morgen frug der Spieß, ob ich denn das Telegramm nicht erhalten hätte?
"Kommen Sie zur Schreibstube und holen den Urlaubsschein ab, wir brauchen ihn jetzt nicht nachzuschicken."
So fuhr ich sechs Wochen in Urlaub. Diese sechs Wochen Urlaub waren langweilig und [ich] war froh als diese um waren.
Während des Urlaubs hatte ich Erfahrung, dass ein Wilhelm Stormanns vom benachbarten Luchtenberg auch zum Pionier Batl.8 eingezogen sei und in der zweiten Komp. eingeteilt sei. Am ersten Tag nach meinem großen Urlaub und vor der Kantine sah ich vor dem Revier einen Rekruten am Wasserhahn.
"Haben Sie in der Komp. einen Rekruten, der sich Stormanns schreibt?"
"Ja, das bin ich selbst."
Ein Glas Bier auf die Heimat in der Kantine war der Abschluss dieser Begegnung.
Ich kann mich noch erinnern, dass [wir] im Hochsommer 1910 vier Wochen die Kaserne räumen mussten und wurden Privat korporalschaftsweise untergebracht. Essen mussten wir in der Kaserne.
Im Gebäude der vierten Kompanie wurden Reservisten untergebracht, die eine Übung machen mussten.
Unsere Korporalschft wurde in einem Hintergebäude einer Wirtschaft untergebracht. In die Wirtschaft selbst durften wir nur mit mindestens zwei Mann gehen, und dann noch bewaffnet. Unser
Bier tranken wir abends in der Stehbierhalle, die dieser Wirtschaft angegliedert war. Bei dieser Gelegenheit konnte man sich den Weibern kaum erwehren. Für ein halb Liter konnte man alles
haben.
"Wo ist dann dein Mann?"
"Der sitzt im Zuchthaus" usw.
Bis heute ist es mir unverständlich, dass man uns in dieser verrufenen Gegend einquartieren konnte.
Nachdem ich nach meinem größeren Urlaub einige Wochen Dienst gemacht hatte, bekam ich ein Geschwür am linken Bein. Zellengewebeentzündung, und ich musste im Krankenrevier bleiben. Eines Tages wurde ich als gelbsuchtverdächtig dem Stabsarzt vorgestellt.
"Haben Sie sich geekelt, erschreckt oder haben Sie sich geärgert?" fragte der Stabsarzt, der eine sofortige Einlieferung ins Lazarett verordnete.
Hier ein Zwischenbericht: Unteroffizier Fischbach schnitt als Unteroffizier vom Dienst beim Abgehen der Stube mir alle Knöpfe von meiner Militärbluse ab, weil ein Knopf nicht zu war. Ich habe mich darüber sehr geärgert, sagen durfte ich nichts. Ich teilte das dem Stabsarzt auch mit, ebenso dem Arzt im Lazarett. Ob der Unteroffizier darüber eine Verwarnung bekommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Aufenthalt in dem Lazarett sechs Wochen. Die Gelbsucht nahm drei Wochen zu und drei Wochen ab. Keine Schmerzen, nur kein Appetit. Als Medizin bekam ich nur Rizinusöl. Zuerst in Pfefferminzlikör, dann in starkem Kaffee. Ich wurde am ganzen Leib so gelb wie eine Apfelsine. Morgens bei der Visite frug der Stabsarzt:
"Stuhlgang gehabt, dick oder dünn?"
Er ließ sich den Stuhlgang zeigen und ging weiter. Als Kost bekam ich nur Milch und Reisspeise. Hier eine kleine Anekdote: als ich so zu Bette lag und mir etwas warm wurde, schlug ich meine Decke etwas zurück. Da kam die Stationsschwester, eine Klosternonne, herein und sagte:
"Da liegt der Schlebusch aber unanständig im Bett"
Nach drei Wochen Zunahme nahm die Gelbsucht in der vierten Woche ab. Mit der Abnahme kam auch der Appetit wieder und in der fünften Woche bekam ich so ein Hunger, dass ich nicht satt zu kriegen war. Da ich schon aufstehen durfte, lief ich, wenn wir zu Mittag gegessen hatten, im Flur und aß noch die Speisereste auf, die im Flur an den Fenstern zum Abholen standen, denn Pakete durften nicht ins Lazarett geschickt werden. Nach sechs Wochen war ich wieder so hergestellt, dass ich mit noch acht Tage Schonung zur Kaserne entlassen wurde.
Nachdem ich einige Wochen Dienst gemacht hatte, kam der 2. Februar 1911. An diesem Tag hatten wir Katholiken Kirchgang. Nach diesem Kirchgang gegen Mittag kam mein Spindnachbar mit Namen Freundenberg, im Civilberuf Wiesentechniker, der auf dem Batl. Büro tätig war und sagte zu mir:
"Schlebusch, du gehst nach Hause, du wirst entlassen. Dieses ist heute morgen vom Armeekorps gekommen."
Wahrhaftig, beim Parolappell wurde dieses auch vorgelesen. Jetzt glaubte ich es erst. Hatte das Gesuch am Kaiser doch Erfolg gehabt. Der Feldwebel war erstaunt und [rief] mich zu sich. Ich hatte nun die Wahl, sofort entlassen zu werden oder zu warten, bis man mir die Civilkleider geschickt hätte. Ich entschied mich für das letztere, weil ich keinen Dienst mehr zu machen brauchte.
Nachmittags ging ich dann zur Post und gab ein Telegramm nach Hause auf mit den Worten: "Entlassen, Geld und Civilkleider schicken." Das Geld kam schon anderentags telegrafisch an. Die Kleider aber erst am anderen Tag gegen 10-Uhr. Umziehen und Sachen abgeben war schnell geschehen. Ich meldete mich dann auf der Schreibstube beim Feldwebel. Dieser hieß mich zu warten, bis der Herr Hauptmann käme. Ich sollte auf der Stube warten, er ließe mich rufen.
Noch ein Zwischenfall: Als ich in meinem Civilanzug am Fenster meiner Stube stand und auf dem Kasernenhof das Exerzieren der Rekruten betrachtete, wurde die Tür geöffnet und es kam der Unteroffizier vom Dienst Fischbach herein, ich nahm von ihm aber keine Notiz.
"Wollen Sie mich nicht grüßen? Sie wissen ja, dass sie noch heute unter den Militärgesetzen stehen. Wenn ich Sie melde, sind Sie noch nicht zu Hause."
"Tun Sie, was Sie nicht lassen können" war meine Antwort.
Ob das Abschneiden der Knöpfe doch noch ein Nachwehen gehabt hat?
Gegen 11-Uhr wurde ich gerufen. Nachdem die Entlassungsformularitäten erledigt waren, wurde ich mit den besten Wünschen für das fernere Leben entlassen. Nachdem ich nun meinen Stubenkameraden noch einen Kasten Bier gespendet hatte, ging es nachmittags der Heimat zu: Reserve hat Ruh! Eine aufrichtige Freude über meine Entlassung hatte ich nicht. Wenn die Verhältnisse zu Hause nicht so gewesen wären wie sie waren, hätte ich bei einer Wahl mich entschieden, die zwei Jahre voll zu dienen. Es ist nichts Schöneres als eine richtige Kameradschaft.
Nächstes Kapitel: Nach der Entlassung (1911-1914)