Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


"Jeck Dei" - Ein Ratheimer Original

von Johannes Bürger
 

Jeck Dei
Theodor Haus
"Jeck Dei"

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Bildquelle: Photo im
Besitz von Paul Knippertz
 

Viele meinen, früher habe es in unserer Heimat viel mehr Originale gegeben, also Menschen, die sich durch Besonderheiten auszeichneten und die jedermann kannte (obwohl ja jeder Mensch ein Original - ein einmaliger Gedanke Gottes ist). Bei den immer mehr durch das Fernsehen verdrängten Erzählabenden in Wohnzimmern und Gaststätten wird gern über diese Originale gesprochen. Ein solches Ratheimer Original war bis zum Kriegsende "Jeck Dei", mit bürgerlichem Namen Theodor Haus. Selbst nannte er sich "Dures".

Dei stammte aus einer Bonner Kaufmannsfamilie. Mitte der 20er Jahre muss er wohl nach Ratheim gekommen sein. Auf einmal war er da. Meine Erkundigungen haben ergeben, dass er nach dem 1. Weltkrieg an einer Gehirnhautentzündung erkrankt war. Karl Heinrichs von der Schmitterstraße (Schuhfabrikant) war sein Vormund, und so war er dann nach Ratheim gekommen. Zu seinem Geisteszustand wird man wohl sagen müssen, dass er nicht "total durcheinander", sondern mehr kindisch oder auch kindlich, vielleicht auch etwas wirr war. Das kam auch dadurch zum Ausdruck, dass - wenn man mit ihm sprach - er mehrmals mit dem Fuß aufstampfte und dazu wie ein Pferd wieherte.

Dei lebte viele Jahre in Ratheim ohne feste Wohnung. Er schlief in Viehställen und Scheunen, im Sommer auch auf Heuschobern und in Strohmieten draußen. Er duzte alle Leute. Frauen und Mädchen begrüßte er stets freundlich mit "Tag, Maikäfer!". Er lebte von Gelegenheitsarbeiten. Die Ratheimer holten ihn sich ins Haus zum Brennholz-schneiden. Er wurde dann für die mit der Handsäge ausgeübte Tätigkeit mit gutem Essen versorgt und hin und wieder mit einem Kleidungsstück ausgestattet. Er schlief dann auch in dem betreffenden Haus. In den vielen landwirtschaftlichen Anwesen war er gern als Nachtwache gesehen, wenn ein "tierliches" Nachwuchs­ereignis bevorstand.

Dei war immer mit einer Schirmmütze, einem feldgrauen Mantel, einer alten Jacke und darunter mit einer Stoffweste bekleidet. Die Weste war auf der Brust mit Orden übersät: von uralten preußischen Orden bis zu den Ansteckzeichen, die damals in der Nazizeit vom sog. Winterhilfswerk verkauft wurden.

Dei war in Ratheim und Umgebung vor allem aber dadurch bekannt, dass er bei jedem ihm bekannt werdenden Todesfall Geld einsammelte. Für das Geld kaufte er einen Kranz, den er bei dem Begräbnis dem Trauerzug vorantrug. Das übrig gebliebene Geld brachte er zum Pfarrhaus für Gedenkmessen. In den Ratheimer kirchlichen Nachrichten war die Ankündigung der entsprechenden Messen mit den in Klammern stehenden Buchstaben "Th" versehen. Jeder wusste dann um den Stifter. Als Belohnung für diesen Dienst wurde er von den Hinterbliebenen zum Begräbniskaffee eingeladen. Nach jedem Kaffee forderte er dann alle Anwesenden auf, mit ihm ein "Vater unser" für den Verstorbenen zu beten.

Man konnte sich vor dem Krieg Ratheim ohne "Jeck Dei" überhaupt nicht vorstellen. Ich erinnere mich besonders lebhaft an folgendes kleine Erlebnis: Dei kam am 24. Juli zu einem Namenstagsbesuch zu meiner Tante Christine. Er brachte seinen Namenstagsglückwunsch aus und übergab ihr ein mit einer Primel bepflanztes Blumentöpfchen mit den Worten: "Hei, Maikäfer, dat es för Dech, hät 35 Pfennich jekostet." Meine Tante gab ihm die 35 Pfennig, lud ihn zum Kaffee ein, und Dei hatte mal wieder einen schönen Nachmittag.

1940 wurde Dures krank. Frau Therese Holtum von der Kirchstrasse, zu der er öfter kam, hörte davon und nahm ihn in ihr Haus und ihre Familie auf. Deis Brüder aus Bonn überwiesen ihr dafür regelmäßig einen bestimmten Geldbetrag. Trotzdem aber ging er tagsüber noch von
Haus zu Haus und erzählte überall lobend von Frau Holtum als "Mamm". Die Kinder von Frau Holtum erinnern sich, dass er auch in dieser Zeit noch manchmal bei bäuerlichen Nachwuchsereignissen in Ställen übernachtete, wovon er "Mamm" aber immer vorher informierte.
Im Zuge von Evakuierung musste auch Frau Holtum im November 1944 Ratheim verlassen. Dei blieb bei ihrem Ehemann Franz zu Hause und war dann auf einmal nicht mehr da. Von da an war Dei aus Ratheim verschwunden.

Nach dem Kriege hat ihn Gertrud Limburg noch einmal in Süchteln gesehen, wo er in der Heil- und Pflegeanstalt lebte. Bei dem Gespräch mit ihr hat Dei seine brennende Sehnsucht nach seiner "Mamm" in Ratheim zum Ausdruck gebracht. Soweit bekannt, ist "Jeck Dei" 2 Jahre nach dem Krieg in Süchteln gestorben und liegt auch dort begraben.

Solche liebenswerten Menschen haben dazu beigetragen, das Dorf, in dem sie lebten, unverwechselbar zu machen. Auch sie gehörten zur Heimat.

(aus dem Pfarrbrief Sep. 1992)


Er war ein richtiges Original

Zwei Zuschriften zu unserem Beitrag über „Jeck Dei"

(offenbar aus der Erkelenzer Volkszeitung, Datum unbekannt)

Ratheim. — Unser Artikel „Bei keinem Begräbnis fehlte er", in dem wir über das Ratheimer Original „Jeck Dei" berich­teten, hat in Ratheim und Umgebung of­fenbar viele alte Erinnerungen geweckt. Die Reaktion war unterschiedlich. Die einen meinten, es bestehe die Gefahr, leck Dei in der rückschauenden Betrachtung Unrecht zu tun, andere fanden, daß sich über ihn noch manches sagen und schreiben lasse. Hier zwei Leserbriefe, in denen diese Meinungen zum Ausdruck kommen.

Theodor Haus, genannt „Jeck Dei", war in Bonn zu Hause; heute lebt noch ein Bruder dort. Dei hatte bis zum Einjährigen die Schule besucht, als ihm eine Krankheit jede Möglichkeit nahm, einer geordneten Arbeit nachzugehen. In verschiedenen Krankenhäusern und Anstalten hat er nicht bleiben wollen. Selbst die Bemühungen seiner Brüder, ihn nach Bonn zu nehmen, schlugen immer fehl. „Jeck Dei" zog es stets wieder nach Ratheim. Hier wohnte, neben einigen entfernten Verwandten, auch sein Vormund.

„Jeck Dei" war schon ein richtiges Original, aber kein Dorftrottel. In Bezug auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit war Dei in Ratheim hoch geschätzt. Nur ein Beispiel soll hier genannt werden. Kurz nach dem ersten Weltkrieg, als die Bahn von belgischem Militär besetzt war, hat Dei für eine Ratheimer Schuhfabrik mit dem Pferdefuhrwerk die Schuhe nach Düssel­dorf gebracht. Das Geld mußte er dort kassieren. Es wurde mir versichert, daß Geld und Ware immer pünktlich und ordnungsgemäß angekommen sind. Und zu den Geldsammlungen für Kranzspenden bei Begräbnissen muß noch gesagt werden, daß von dem zuviel gesammelten Geld Dei für sich nie einen Pfennig behalten hat. Das restliche Geld spendete er stets für eine hl. Messe für den Ver­storbenen.

Ich war am 10. 3. 1945 wieder in Ratheim. Einige Tage später kam auch „Jeck Dei" aus der Evakuierung zurück. Am Arm hatte er eine leichte Verwundung. Ich bin dann mit Dei zwei- oder dreimal zu einem englischen Sanitäter gegangen. Die Engländer hatten auf der Gendorfer Straße ein Haus eigens als Ambulanz ein­gerichtet. Selbst durfte ich das Haus nicht betreten. Ein Ratheimer Geschäftsmann brachte ihn später, noch bevor die meisten. Ratheimer aus der Evakuierung zurückkamen, auf Veranlassung des damaligen Bürgermeisters und des englischen Kommandanten nach Süchteln. Hier hat ihn eine Ratheimer Rote-Kreuz-Schwester noch mehrmals besucht. Dei hat dann immer wieder den Wunsch geäußert, nach Ratheim zu kommen. In Süchteln ist er jedoch kurz nach dem Kriege gestorben. Dort wurde er auch begraben.

N. N., Ratheim.
(Name und Anschrift sind der Redaktion bekannt.)

*

Meine erste Begegnung mit Dures — wie er bei uns genannt wurde — hatte ich in Birgelen, als ich einem Manne begegnete mit Major-Epauletten sowie' vielen Orden. Dures trug zwei Eimer Wasser zu Lierisch-Bäcker. Solche Uniform war mir in meiner langen Dienstzeit noch nicht vor Augen gekommen. Dann traf ich Dures auf meinen Dienstgängen des öfteren und eines Tages kreuzte er in meiner Wohnung auf. Mehrmals habe ich ihm Nachtquartier gegeben. Einen Soldatenmantel gab ich ihm mal leihweise, doch den Mantel habe ich nie wieder gesehen.

Ich kannte Dei nur mit einer Rahmensäge über die Schulter durch die Lande ziehen bis hinauf nach Kevelaer. Wenn er kein Quartier hatte, sägte er die ganze Nacht Holz. Dures konnte aber auch für zwei Mann essen und ließ sich nebenbei gut bezahlen.

Einmal hat man Dures, nach seinen eigenen Aussagen, nach Berlin in eine Anstalt verbannt, wo er aus dem oberen Stockwerk entweichen konnte. Zu Fuß kam er wieder nach hier.

Dures war in Bonn gegenüber der Husarenkaserne geboren. Als junger Bursche war er immer bei den Husaren im Pferdestall zu finden. Auch bei Ausmärschen und im Manöver war er immer dabei. Später hat er oft für Händler und Metzger Pferde transportiert. Hoch zu Roß grüßte er mich stets militärisch. Bei Verkehrsunfällen war Dures stets da und regelte den Verkehr. Im Krieg stand er mit einem Holzgewehr Posten. Eines Tages traf ich ihn so morgens vor der Post; er bedeutete mir, daß wir im Amt nicht bestohlen würden.

G. Stein, Wassenberg


s. auch Beitrag im Archiv: Maikäfer, häste ken Tass Kaffe doa?