Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Kindheit und Jugend

aus dem Anhang der Ratheimer Chronik von Peter Schlebusch, aufbereitet von Helmut Winkens


[ Familie ]

Ich wurde am 11.Januar 1887 als vierter Sohn der christlich katholischen Eltern Wilhelm Schlebusch, Ackerer und Korbmacher zu Garsbeck bei Ratheim und dessen Ehefrau Maria Katharina Schlebusch geborene Hendelkens geboren. Bei der Taufe, die am gleichen Tag meiner Geburt in der kath. Pfarrkirche Johannes der Täufer in Ratheim erfolgte erhielt ich den Namen Peter Wilhelm, Rufname Peter. Ich war der letzte Täufling des verstorbenen Pfarrers Drouven von Ratheim.

Peter hieß mein Pate und Wilhelm mein Vater. Mein Pate war Peter Gillissen, Maurer von Luchtenberg bei Orsbeck, dessen Ehefrau Katharina war eine Schwester von meinem Vater. Meine Patin war Tante Beel, Frau Sybilla Goertz geb. Hendelkens, wohnhaft in Wassenberg, war eine Schwester meiner Mutter.

Meine drei Brüder waren Heinrich, Franz und Hubert. Heinrich hatte das Stuckateurhandwerk gelernt und bei dem Infantrie Reg.No. 39 in Düsseldorf gedient. Er war mit Nettchen Düsterwald, Ratheim Vennstr., verheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. Franz ist im zweiten Weltkrieg in Russland gefallen. Hans hat eine Kunststeinfabrikation und ist mit Elisabeth Sommer verheiratet. Änni ist mit dem Zahnarzt Dr. Josef Hülser in Erkelenz verheiratet.

Mein Bruder Franz war Korbmacher und Fabrikarbeiter. Er hat bei dem Infantrie Reg.Nr. 99 in Pfalsburg im Elsass gedient. Er war mit Sybilla Braun verheiratet. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor: Wilhelm, Heinrich, Elisabeth und Katharina.
Bruder Hubert war Korbmacher und Fabrikarbeiter. Er ist nicht aktiv Soldat gewesen und war mit Mechtilde Brendgens aus Oberbruch verheiratet. Vier Kinder Heinrich, Hubert, Sybilla und Katharina. Heinrich ist bei Stalingrad vermisst und Hubert ist in Russland gefallen. Sybilla ist verheiratet und Katharina ist Krankenschwester.

Unser Haus lag auf Garsbeck und hatte die Haus Nr. 12. Es war zur Hälfte massiv und zur Hälfte Stein- und Lehmfachwerk. Es besaß eine Toreinfahrt und Küche mit fünf Zimmern, Scheune und Stallungen. So gegen 1895 herum wurden neue Stallungen gebaut. In der Jahrhundertwende bekam unser Wohnhaus eine neue Bedachung. Dieses Haus ist dann im Jahre 1909 im Frühjahr abgebrannt. Über diesen Brand ein extra Artikel.


Jugenderinnerungen

Als kleiner Junge ist mir noch in Erinnerung, dass ich eine blaue Brille habe tragen müssen. Dieses wird wohl damit im Zusammenhang zu bringen sein, dass ein Augenarzt, als ich eine neue Brille haben musste, die Feststellung machte, das rechte Auge sei einmal verletzt gewesen.

Auch kann ich mich noch genau erinnern, dass ich als kleiner Junge viel zu unseren Nachbarn Thönnissen ging, die eine größere Landwirtschaft betrieben. Diese hatten drei Söhne, fünf Töchter. Josefine die Älteste war schon verheiratet mit Schuhfabrikanten Peter Heinrich Jansen, Peeterheng im Volksmund genannt. Marie war in der Stadt in Stellung. Junza musste ihrer Mutter, Mütterke genannt, mit im Haushalt helfen, Sybilla, später Frau Franz Krings, half den Brüdern in der Landwirtschaft und Neel die Älteste hatte das Vieh unter sich, musste Füttern und Melken. Neel war später eine Frau Wählen und nach dessen Tod eine Frau Tanz in Oberbruoh. War Neel die Kühe am melken, ging ich in die Küche und erhielt dann eine Tasse ohne Henkel und Neel melkte die dann voll Milch die ich dann austrank. Es war aber mehr Schaum wie Milch. Vom Kuhstall zum Jauchekeller war ein großes Loch. War nun ein junges Kälbchen angekommen, sagte Neel zu mir:

"Das ist aus diesem Loch gekommen."

Folgendes ist mir noch guter Erinnerung. Die Häuser von Garsbeck lagen auf einer Anhöhe, woran sich den Abhang herunter eine Obstwiese und unten ein Bruch, Bäume und Gebüsch anschloss. Dahinter lagen die saueren Benden. Weil Garsbeck damals abseits vom Verkehr lag und von Feldern, Wiesen und Bruch umgeben war, gab es dort viel Wild, wie Hasen, Kaninchen, Fasanen, Rebhühner und Wildtauben. Weil damals die Jagd an Herrn aus Belgien verpachtet war und diese nur einmal im Jahr jagen kamen, nahm das Wild bald überhand. Rudel Hasen von 10 bis 15 Stück die sich im Feld herumtummelten. Unter diesen Umständen ergab es sich, dass in jedem Haus auf Garsbeck ein Jagdgewehr vorhanden war. Alles was sich damals an Wild zeigte, ob Nacht oder Tag, wurde abgeknallt. Ich kann mich noch erinnern, dass die Garsbecker einmal im Winter bei klarer Mondnacht eine Treibjagd veranstaltet haben.

Aber diese Wilddieberei ist meinem Bruder einmal zum Verhängnis geworden. Eines Tages gegen 10 Uhr morgens zeigte sich ein Häslein am Bergabhang. Bruder Franz sah es und schoss es tot. Die Tochter des ersten Beigeordneten war in einem Nachbarhaus das Nähen am lernen und ging mittags zum Essen nach Hause. Nichtsahnend erzählte sie das am Mittagstisch. Der Vater dieses Mädchens meinte nun als Beigeordeter dieses Anzeigen zu müssen. Bruder Franz wurde am Amtsgericht in Heinsberg zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Da mein Bruder Franz damals noch nicht Soldat gewesen war und noch zur Musterung musste, wurde ihm jedesmal vorgehalten, wegen Wilddieberei bestraft [worden zu sein].

"Tauglich, Infantrie, ab, jetzt können sie weiter Schiessen."


Meine Schuljahre

Mit sechs Jahren kam ich auf die Volksschule in Ratheim, das für mich eine große Umstellung bedeutete, da ich das freie Leben auf Garsbeck gewohnt war. Man konnte dort auch schon einmal mit einer kaputten Hose herumlaufen. Der erste Lehrer hieß Franz Heinrichs, "der Köster" genannt, weil er nebenbei auch noch Küster und Organist in der Pfarrkirche war. Wenn ich morgens keine Lust verspürte zur Schule zu gehen brauchte ich nur zu meiner Mutter zu sagen:

"Mamm, ich habe Kopf- (oder Bauch)weh",
"dann bleib nur aus die Schöll" sagte dann meine Mutter.

Darum stand auch im ersten Schulzeugnis: Schulbesuch unregelmäßig. Die weitere Folge war: ich blieb sitzen und musste die I Klasse noch einmal ein Jahr lang machen.

So kam ich im dritten Jahr zum Lehrer Heinrich Vossen. dieser war auch ein guter Lehrer und hatte den Krieg 1870-71 mitgemacht und erzählte uns viel davon. Auch mussten wir in der Turnstunde im Gleichschritt marschieren. Wenn einer falsch antrat, dem rief er dann zu: Du bist wohl ein Österreicher!

Nach weiteren zwei Jahren kam ich dann in der Oberklasse bei Lehrer Peter Prickartz. Dieser war ein sehr strenger Lehrer, der viel die Kinder verprügelte. Es verging keine Stunde, wo er nicht eine Anzahl verhauen hatte, und zwar schlug er mit einem Stock auf die Hände, ja sogar auf die Fingerspitzen. Mich hatte er einmal so auf die Hände geschlagen, dass die rechte Maus blutete (weil ich im Schönschreibheft einen Klecks gemacht hatte). Mein Vater ließ sich dieses aber nicht gefallen und beschwerte sich beim Pastor Wildt, der auch Ortsschulinspektor war. Dieser bat meinen Vater, dieses nicht anzuzeigen, denn das würde diesen Herrn das Amt kosten. Er würde das mit dem Herrn Lehrer schon in Ordnung bringen. Seit dieser Zeit hatte ich Ruhe von diesem Herrn Lehrer. Dieser Lehrer war so schlagfreudig, dass zwei Schüler auswärts die Schule besuchten, eine in Orsbeck und einer in Hilfarth.

Dieser Lehrer Prickartz hatte seine Militärzeit beim Infanterie Reg.Nr.40 in Aachen abgedient. Er war auch ein gebürtiger Aachener. Wenn er nun zu einer Militärübung eingezogen wurde oder er hatte mit seiner Ehefrau Unstimmigkeiten gehabt (die sogar sehr oft vorkamen), dann war er besonders unausstehlich und wir Schulkinder hatten darunter zu leiden. Er ließ sich später nach Rheydt versetzen, wo er Schulrektor wurde. Gute Tage hatten wir Schüler, ehe er Rektor wurde, wenn er die Rektorprüfung ablegen musste, wobei er zweimal durchfiel. 14 Tage vor dieser Prüfung bereitete er sich auf die Prüfung vor. Während dieser Zeit wurden wir nur mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt, die er auch nicht nachsah.

1899 ging ich mit 12 Jahren nach guter Vorbereitung durch den Hochwürdigen Pfarrer Josef Wildt zur ersten hl. Kommunion am Christi Himmelfahrtstag. Mein Kommunionpaar war Peter Losberg, der taubstumm war. Dieser ist leider als Jungmann gestorben.

Nach der Versetzung von Lehrer Prickartz nach Rheydt bekamen wir den Junglehrer Peter Weingartz, der bald ein Menschenalter segensreich als Lehrer in Ratheim gewirkt hat. Ratheim war seine erste und auch letzte Stelle. Nachdem Ratheim sich sehr entwickelte und auch das Schulwesen damit einbegriffen war, wurde Lehrer Weingartz auch zum Rektor befördert. Mit jedem Schüler, der nicht recht voran konnte, gab er sich ab und versuchte, ihn auf den rechten Weg zu bringen. Außerdem war er auch sehr fromm. Aus seiner Ehe mit einem Ratheimer Mädchen (Anna Jansen, Mühlenstr.) gingen vier Kinder hervor, drei Töchter und ein Sohn. Der Sohn wurde Priester, der erste Priester, der nach 110 Jahren aus Ratheim hervor ging. Er ist jetzt Pfarrer von Gerderath. Eine Tochter wurde Klosterschwester und eine ist Studienrätin. Eine Tochter führt ihrem Bruder den Priesterhaushalt während eine auch unverheiratet im Elternhaus in Ratheim lebt. Bei dem Lehrer und späteren Rektor Weingartz bin ich noch ein halbes Jahr in der Schule gewesen. Dieser Lehrer vertrat im zweiten Weltkrieg den Küster und Organisten, der zum Weltkrieg eingezogen war. Dieses wurde natürlich von den Machthabern des dritten Reiches nicht gern gesehen.

Von meiner Schulzeit muss ich noch erwähnen, dass ich in den Wintermonaten den Rosenkranz vorbeten musste und dann noch neben meinen Schularbeiten alles fertig machen musste, um morgens den Ofen anzumachen, im Volksmund das "Vönkelhod zurecht machen". Auch musste ich mit die gemachten Körbe reinigen, ausstechen und abschneiden (das heist im Inneren die Ansätze der Korbweiden abstechen - es gab dafür extra Messer - und außen die Zipfeln der Korbweiden abschneiden). Auch musste ich noch meiner Mutter helfen, weil wir keine Mädchen hatten. Zum Spielen war sehr wenig Zeit. Wenn wir Zeit hatten wurde aufgezogen. Mein Nachbarsfreund Heinrich Schafhausen hatte eine kleine Trommel - der trommelte und ich kommandierte.

Als kleiner Junge hatte ich einmal ein großes Geschwür vorn am Hals. Der alte Dr. Küsters, ein Mann mit einem Vollbart, hat mir dieses Geschwür aufgeschnitten und eine stinkige kleberige Masse Eiter kam da heraus. Ich war geheilt.


[ Berufsanfang ]

Nach meiner Schulentlassung erlernte ich das Korbmacherhandwerk und half meinem  Vater in der Landwirtschaft. Wir hatten damals zwei Arbeitskühe, ein Rind, eine Ziege und mästeten zwei Schweine, wovon eines für den eigenen Haushalt geschlachtet wurde während eines verkauft wurde. Auch wurden Kälber sechs Wochen gemästet und dann verkauft. Die Käufer waren zwei Gebrüder mit Namen Kaufmann aus Heinsberg, die Juden waren. Juden, die den Rinderhandel trieben, verkehrten mehrere in unserem Hause. Jud Jaköbke mit Namen Heumann und einer hieß Windmüller. Beide waren von Wassenberg. Dann kam noch einer von Geilenkirchen mit Namen Gottschalk. Dieser war ein starker Raucher, der immer eine halblange Pfeife rauchte. Nachteiliges kann ich über diese Juden nicht berichten.

In diesem Zusammenhang kann ich mich noch sehr erinnern. Ich hatte einen Onkel, ein Bruder meiner Mutter, der in M.Gladbach eine Metzgerei betrieb. Dieser war bei einem Juden als Geselle gewesen. Kam dieser nach Garsbeck zur Kirmes und setzte sich mittags am Tisch, war seine erste Frage:

"Wo habt ihr das Fleisch gekauft?".

Hätten wir das Fleisch bei einem Juden gekauft, hätte er aus bestimmten Grunde keines gegessen.

Als in der Korbmacherei einmal eine Krise kam, fing ich auf der Glanzstofffabrik in Oberbruch an. Diese war damals noch im Aufbau begriffen. Im chemischen Betrieb wurde in drei Schichten gearbeitet. In diesem Betrieb verdiente damals ein erwachsener Mensch pro Stunde 0,25 Mark, das war pro Schicht 2 Mark. Das waren nach Abzug der Sozialabzüge, die nicht hoch waren, elf Mark pro Woche. In der Lohntüte befand sich ein Goldstück von 10-Mark und eine Silbermark. Es wurde bis Sonntagmorgen 6 Uhr gearbeitet. Nachdem der Klerus sich darüber beschwerte, wurde Samstag 24-Uhr Schluss gemacht. Darum waren die Samstagsschichten nur sechs Stunden.
Nachdem ich in einer Nachtschicht mit einem Meister in Streit geriet, der mich 50Pfg. Strafe anschreiben wollte, mich aber nicht bestrafen durfte, weil ich keine Nachtschicht machen durfte, kam ich in die Tagesschicht. Ich verdiente damals pro Stunde 16-Pfg. Da mein ältester Bruder Heinrich Stuckateur war und in Düsseldorf viel Geld verdiente, sollte ich auch das Stuckateurhandwerk erlernen. Als nun nach einem viertel Jahr mein Bruder Franz zum Militär eingezogen wurde, musste ich wieder zu Hause bleiben und meinem Vater helfen.

Mit 16 Jahren wurde ich Mitglied der St. Josef Junggesellen-Schützenbruderschaft. Über mein Schützenleben ein extra Artikel.

Über meine Jugendzeit muss ich noch folgendes berichten: während im Winter bei uns viele Körbe gemacht wurden, kamen abends viele Nachbarn zu Besuch, das heißt sie kamen "klengere", wie es im Volksmund heißt. Derjenige, der am besten lügen konnte und die schaurigsten Räuber- und Kriegsgeschichten erzählen konnte, dass sich die Balken bogen, das war der beste Mann. Dass wir Kinder dabei die Ohren spitzten ist ja wohl selbstverständlich.


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