Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Die Ratheimer Pfarrprozession nach Ophoven

von Johannes Bürger (1996)
 

Allenthalben wird der Rückgang des religiösen Lebens beklagt. Immer leerer werdende Kirchen, Kirchenaus­tritte, Schwinden der religiösen Substanz im privaten und öffentlichen Leben.
Da ist es interessant zu beobachten, daß die Teilnehmerzahlen an Wallfahrten nicht nur zurückgehen, sondern gerade in den letzten Jahren wieder angestiegen sind. Der am 23. Januar 1994 verstorbene Aachener Bischof Dr. Klaus Hemmerle schreibt 1986 zum Sinn der Wallfahrten:

„Eine Zeitlang tat man Wallfahrten und das, was mit ihnen zusammenhängt, ab als überalterte Form von Frömmigkeit, die den modernen Menschen nicht mehr anspricht. Heute bereits erfahren wir, daß wir nicht die Aufgeklärten, die Besitzenden, die am Ziel Angekommenen sind, sondern wir entdecken neu, daß wir unterwegs sind und daß wir auf diesem Weg nicht nur unseren Verstand, sondern unser Herz und unseren Leib, uns selber, uns persönlich und in Gemeinschaft einzubringen haben: Wir haben ein Ziel, wir sind noch nicht am Ziel, unser Weg führt zu den Ursprüngen, wir sind gemeinsam auf dem Pilgerweg." 1)

Auch im heimischen Bereich ist das katholische Wallfahrtswesen stark ausgeprägt. Als Beispiel sei hier die Prozession der Pfarrgemeinde Ratheim nach Ophoven vorgestellt. Ophoven, westlich Wassenberg nahe der niederländischen Grenze an der Rur gelegen, zählt etwa 500 Einwohner. Der Ort wird von den Einwohnern liebevoll gehegt und gepflegt und erhielt 1961 beim Bundeswettbewerb 'Unser Dorf soll schöner werden' nicht von ungefähr den 1. Preis.

Um 1200 bestand hier ein Zisterzienserkloster, das 1258 nach Dalheim verlegt wurde. Auch die Kirche von Ophoven geht in diese Zeit zurück. 1571 erhielt der Ort Pfarrrechte. 1) Um 1700 wurden Chor und Seitenschiffe der Kirche gewölbt. Rechts des Chors steht in einem neueren Holzgehäuse das Gnadenbild Mariens, verehrt als Mater amabilis, als 'liebenswürdige Mutter'. Die um 1350 wahrscheinlich in Köln entstandene Holzfigur wurde im vergangenen Jahrhundert restauriert und farblich neugefaßt.
Bis zum Jahre 1826 gehörte zum Reliquienschatz ein „Schuh Mariens". Diese in einem silbernen Behälter eingeschlossene Reliquie wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember 1826 gestohlen 2) und ist seitdem verschwunden. Doch wenig später erwarb Ophoven aus Rom eine Partikel „vom Kleide der Mutter Gottes", die in einer kleinen Monstranz gefaßt wurde.

Wenn wir auch heute der Echtheit solcher Reliquien eher skeptisch gegenüberstehen, so können sie doch nach wie vor als Symbole für die heilige Person – hier für die Gottesmutter – angesehen werden. Und daß sie von vielen Generationen unserer Vorfahren verehrt worden sind, mag sie uns aufgeklärten Menschen des 20. Jahrhunderts als ehrwürdig erscheinen lassen.

Jedenfalls ist die Muttergotteskirche von „Maria-Ophoven" ein beliebtes Wallfahrtsziel. Seit wann das so ist, liegt im dunkeln. Das Pfarrarchiv von Ophoven hält eine Anzahl von Heilungen fest, die Anfang des 18. Jahr­hunderts geschehen sein sollen. Man vermutet aber, daß die Wallfahrt nach Ophoven bis zum 16. Jahrhundert zurückgeht. Am 31. August 1715 sollen der Kurfürst Johann Wilhelm und seine Gemahlin aus Düsseldorf zur Verehrung der Mutter Gottes nach Ophoven gereist sein.

Maria-Ophoven ist von jeher beliebtes Wallfahrtsziel für viele Einzelpilger und vor allem für Pfarrprozessionen aus der Gegend. So zieht auch eine Prozession aus Ratheim Jahr für Jahr dorthin. Weder das Pfarrarchiv von Ophoven noch das von Ratheim enthalten etwas darüber, seit wann die Ratheimer nach Ophoven ziehen. Fragt man alte Ratheimer danach, so hört man nur:

„Dat weet ech net; ech weet wal, dat allesoläeve (immer) jedes Joar no Ophoave getrokke wuet."

Das muß schon sehr lange sein. In dem Buch „Geschichte der Wallfahrten im Bistum Aachen" ist (S. 429) vermerkt, daß die Ratheimer seit 1947 nach Ophoven ziehen. Das trifft nachweislich nicht zu. Außer vom Erzählen der Eltern und Großeltern kann konkret berichtet werden, daß die 1893 geborene Frau Katharina Limburg geb. Haken, aus Ratheim im Jahre ihrer Erstkommunion, das muß um 1905 gewesen sein, zum ersten Mal mit nach Ophoven gezogen ist. Gerhard Gillissen, heute in Bendorf/Rhein lebend, berichtet, daß er 1925 erstmalig an einer Ratheimer Pfarrwallfahrt nach Ophoven teilgenommen hat. Auch ich selbst weiß von Prozessionsteilnahmen vor dem 2. Weltkrieg.
Rektor Peter Weingartz ist 1900 an die Ratheimer Volksschule gekommen. Seine Töchter berichten, daß sie sich erinnern, ihr Vater habe seit dieser Zeit mit der sog. Oberklasse an den Wallfahrten nach Ophoven teilgenommen. Von Heinrich Knorr weiß ich, daß vor dem 2. Weltkrieg jährlich immer etwa 200 Ratheimer Katholiken mit nach Ophoven gingen. Die Prozession wurde damals vom Musikverein St. Josef begleitet. Die beiden Ratheimer Schützenkönige - geschmückt mit dem Schützensilber - nahmen mit ihrem Gefolge ebenfalls teil. Auch heute ist der Ratheimer Schützenkönig immer dabei.

1946 zog - nach Unterbrechnung durch die Kriegsjahre - erstmals wieder nach dem 2. Weltkrieg die Ratheimer Pfarrprozession nach Maria-Ophoven. Sie ist seit dieser Zeit nie ausgefallen. Begleitet wird sie vom jeweiligen Pastor oder Kaplan, angeführt von einer stattlichen Zahl von Meßdienern. Die Form der Prozession hat sich im Laufe der Zeit verändert. So treffen sich heu­te die Fußpilger am 1. Sonntag im September, am Sonntag nach der Ratheimer Herbstkirmes, in aller Frühe an der Pfarrkirche und setzen sich nach einer kurzen Einstimmung durch den sie begleitenden Priester - dabei wird das „Thema" der Prozession, das besondere Anliegen, angesprochen - in Bewegung. Auf einem Ponywagen, der von Franz Moll oder seinem Stellvertreter Herrn Niviadomski gelenkt wird, ist der Lautsprecher befestigt. Küster und Organist H.-Josef Stroeckens betet den Rosenkranz vor und stimmt die Lieder an. Während früher nur der Rosenkranz gebetet wurde, werden heute drei Stationen gehalten, um das jeweilige Wallfahrtsthema zu vertiefen.

Die 1. Station ist am Krickelberger Kreuz. Dort hält man Lesung, Meditation und Gebet zum Thema der Wall­fahrt. Die 2. Station ist an einem Kreuz am Ortsausgang von Orsbeck, die 3. wird gehalten am Kreuz der Wegegabelung Krafeld-Eulenbusch. Manchmal nehmen auch Rollstuhlfahrer an den Wallfahrten teil. Unterwegs wird nicht nur fortwährend gebetet, sondern es gibt mehrere ausgedehnte Gebetspausen, die alle Prozessionsteilnehmer zu ausgiebigen Gesprächen nutzen, zu denen sie vielleicht sonst keine Gelegenheit oder Muße haben. So dienen diese Wallfahrten auch in nicht geringem Maße den menschlichen Begegnungen und der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Pfarrangehörigen untereinander.

Wenn dann Ophoven in Sicht kommt, wird der Rosenkranz mit dem Zusatz gebetet: „Maria, zu Dir kommen wir, um Deine Hilfe bitten wir." Beim Wegzug aus Ophoven heißt es (theologisch nicht einwandfrei): „Maria, von Dir scheiden wir, für Deine Gnade danken wir." Gegen 9 Uhr zieht die Prozession in die Ophovener Kirche ein. Dort wird dann gemeinsam die Messe gefeiert, seit einigen Jahren vom Ratheimer Kirchenchor musikalisch gestaltet. Danach hat man reichlichen Hunger und alles strömt in die Gaststätte „Ritterbex" oder „Zur Mühle". Der mitgebrachte Proviant besteht traditionellerweise außer aus Butterbroten aus „Tooschlächskes"; das sind selbstgebackene Apfeltaschen. (Pastor/Kaplan und Meßdiener bekommen im Pfarrhaus Kaffee.)

Früher brachten die Leute das Kaffeemehl von zu Hause mit. Für das Bereitstellen der Tasse und Begießen des „Muckefucks" mit heißem Wasser fragte die Wirtsfrau 20 Reichspfennige. Wenn ihre Frage: „Ooch Mälek?" mit ja beantwortet wurde, mußte man 5 Pfg. zulegen. (Heute bringt keiner mehr das Kaffeemehl mit.) Für die Jungen kam dann früher etwas besonders Interessantes: Nach dem Frühstück liefen sie in Richtung Effeld über die Grüne Grenze und kauften „be et Männke" (niederländische Gaststätte) für 10 Pfennige Schokolade. Die wurde unter stillschweigender Duldung der Zöllner geschmuggelt. 3) Das war für die Kinder ein besonderes Erlebnis.

Gegen 11 Uhr tritt die Prozession von der Kirche aus den Heimweg nach Ratheim an, jetzt verständlicherweise etwas müder und schleppender als am frühen Morgen. Und das Beten ist auch etwas verhaltener; denn von der Ratheimer bis zur Ophovener Kirche ist eine Entfernung von immerhin 8,5 km zurückzulegen. Etwa in Krickelberg angekommen, werden die „müden Krieger" vom Geläut der Ratheimer Glocken begrüßt.
Sakramentaler Segen und das Lied „Großer Gott, wir loben Dich" in der Pfarrkirche beenden die Wallfahrt, an der auch heute noch Jahr für Jahr etwa 130 bis 150 Menschen teilnehmen. In dem Jahr, in dem in Ratheim Firmung ist, nehmen die Firmlinge als geschlossene Gruppe an der Pfarrwallfahrt teil.

Zum Prozessionsweg sei nachgetra­gen, daß er in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg über Krickelberg – Wassenberg – Roßtor – Forst – nach Ophoven führte. Heute geht es über Krickelberg – Garsbeck – Luchtenberg – Orsbeck – Eulenbusch – Krafeld.

Nach Auskunft von Ophovenern ist die Ratheimer Prozession die größte ihrer Art, die jährlich nach Ophoven pilgert. Außer Ratheim kommen aber auch die Pfarren Orsbeck, Wassenberg St. Georg und Oberstadt, Hilfarth, Effeld, Karken, Eschweiler, Heinsberg, Birgden, Oberbruch, Porselen – Horst, Kempen, Dalheim und manche Einzelpilger, vor allem an Sonntagnachmittagen.
 

Quellen:
1) Dieter P.J. Wynands, Geschichte der Wallfahrten im Bistum Aachen, Einhard Verlag, Aachen, 1986.
2) Heinrichs-Broich, Kirchengeschichte des Wassenberger Raumes, Gebr. Himmels-Verlag, Geilenkirchen, 1958.
3) S. Kurth/E. Winkens, Pfarrbrief Pfarre Ratheim, Sept. 1987.
 


Mit Erlaubnis des Autors entnommen aus:
Bürger, J. (1996): Die Ratheimer Pfarrprozession nach Ophoven. - in: Kreis Heinsberg (Hrsg.): Heimatkalender des Kreises Heinsberg, S. 154ff