von Sibille Kurth
Mit "früher" ist die Zeit vor dem Krieg gemeint, als Ratheim noch um einiges ländlicher war als heute.
Viele Stunden der Vorbereitung hatten die Kommunionkinder bereits hinter sich, wenn der Weiße Sonntag vor der Tür stand. Da waren der Beicht- und Kommunionunterricht, die Proben für eine würdige Zeremonie und schließlich die erste Beichte. Es war schon aufregend.
Aufregend waren auch die Vorbereitungen in den Familien, und das besonders für die Mütter. Hausputz wurde gehalten, die Gardinen gewaschen, tapeziert und angestrichen, Festkleidung
angeschafft und Kochhilfen besorgt - man ging ja nicht ins Restaurant - es wurde gebacken, vorgekocht und gebraten. Wenn dann am Samstagabend vom Kirchturm gebaiert wurde (Baiern ist das
Anschlagen der Glocken mit dem Klöppel von Hand in kurzen Abständen), waren die Straßen blitzblank gefegt, und herrliche Düfte von Gebackenem und Gebratenem zogen durch die
Luft.
Die Großen wie die Kleinen hatten gebeichtet und gebadet, und so, innen und außen gereinigt, mischte sich der Duft von Vaters Zigarre in gemütlicher Vorfreude in die
Festtagsstimmung.
Dann kam der große Tag! Feierlich läuteten die Glocken, und von den Häusern wehten die Fahnen in den Kirchenfarben: rot-weiß, blau-weiß, gelb-weiß.
Die Kommunionkinder versammelten sich zur vorgegebenen Zeit am Kloster. Im weißen Kleid und Kränzchen die Mädchen, im dunklen Anzug und meist neuen schwarzen Lackschuhen die
Jungen. Alle trugen ihre Kommunionkerze mit Spitzentuch und das neue Gebetbuch in den Händen. Erwartungsvoll glänzten die Kinderaugen!
Von der Kirche kam in feierlicher Prozession die abholende Gemeinde; vorangetragen das Kreuz, dann der Herr Pastor mit den Messdienern, der Musikverein, die weißgekleideten
Mädchen in Gruppen, nach Farbe der Kränzchen getrennt: rosa, blaue und weiße Kränzchen. Sie trugen Blumen in den Händen oder Symbole, wie weiße Lilien, die
goldenen Himmelsschlüssel, einen Kelch oder die Dornenkrone auf rotem Samtkissen.
Den festlichen Akzent setzte der Musikverein mit feierlicher Blasmusik: "Deinem Heiland, deinem Lehrer".
Nun wurden die Kommunionkerzen angezündet und die Kinder zur Kirche geleitet. Am Straßenrand standen bewegte Zuschauer, die Eltern und Verwandten, die Väter im schwarzen Anzug
und Zylinder.
Mit brausendem Orgelspiel begann dann der Gottesdienst, in dem den Kleinen zum ersten Mal die Hostie in den Mund gelegt wurde. Von "Führ-Engelchen" wurden die Kinder zum Altar geleitet und reihenweise zum Platz zurückgebracht. Es waren für die Kinder anstrengende Stunden, schließlich mussten sie nüchtern sein, und die Zeremonie zog sich lange hin.
Nach der Messe nahmen die Eltern ihre Kinder in Empfang. Es begann ein großes Gratulieren, und endlich konnten die Kinder nach Hause gehen, wo ein schön gedeckter Tisch sie
erwartete. Natürlich waren für die Kinder auch die Festlichkeiten zu Hause und die Geschenke wichtig, und manch eines trug zur Nachmittagsandacht stolz eine neue Armbanduhr am
Handgelenk.
Am nächsten Tag war nochmals feierlicher Gottesdienst, bei dem die Mädchen zum Kränzchen ein farbiges Zweit-tagskleid trugen. An diesem Tag wurden die Mahlzeiten abwechselnd bei
den Kommunionpaaren eingenommen.
Zwar war es nicht allen Eltern möglich, ihrem Kind ein würdiges Fest zu gestalten, und zwar aus finanziellen Gründen, aber da gab es stille Helfer, die für Unterstützung sorgten und bei denen die Linke nicht wissen sollte, was die Rechte tat. Für sie war der Weiße Sonntag ein persönliches Erleben innerer Freude, "denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück."
(aus dem Pfarrbrief Ostern 1995)
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