Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Menschenwürde und Barmherzigkeit

Anlässlich der aktuellen politischen Diskussionen zum Thema "Sicherheit in Deutschland" hat Pfarrer Michael Krosch in der Messe am 15. Sonntag im Jahreskreis in Ratheim eine engagierte und mutige  Predigt zum schwierigen Thema "Menschenwürde und Barmherzigkeit" gehalten.

Da mich persönlich diese Predigt überaus beeindruckt hat, habe ich Pastor Krosch gebeten, den Originaltext für unsere Website zur Verfügung zu stellen, und er hat meiner Bitte entsprochen. (Helmut Winkens)


Liebe Christen!

Walter Ulbricht, früherer erster Sekretär des Zentralkomitees der SED, hat einmal, fast schon aufgebracht gefragt, ob man denn „allen Mist mitmachen müsse, der aus dem Westen kommt“.

(Keine Sorge, das hier wird keine Sympathiekundgebung für die Sozialisten, wird keine „Ostalgie“.)

Und so wenig mich auch mit Ulbricht verbindet, in einem hat er so Unrecht nicht. Denn eigentlich kann man schon seit Jahrzehnten die Uhr danach stellen, wann eine neue Modewelle aus den USA zu uns 'rüberschwappt. Da gibt es einen schon fixen Blick nach Westen über den großen Teich. Auch politisch hat es diesen Blick lange Jahre gegeben auf der Suche nach neuen Geboten.

In den letzten Jahren hat sich das verändert, auch durch George W. Bush, der mittlerweile ja im eigenen Land immer mehr unter Beschuss steht. Doch wenn ich mir unseren Bundesinnenminister in den letzten Tagen und Wochen anhöre, da kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er einen Überwachungsstaat anpeilt, wie er in den USA durch die Heimatschutzgesetze nach dem 11. September 2001 schon existiert, ich sage nur: Guantanamo, biometrische Daten im Pass.

Daran hat mich ein Vers aus der Lesung1) erinnert:

„Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte … ist auch nicht jenseits des Meeres, so dass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und verkündet es uns, damit wir es halten könne?“

Dieses „jenseits des Meeres“, daran bin ich hängen geblieben. Moses pocht auf die Grundlage des Bundes, pocht auf Gott und seine Gebote. Auch für uns ist es entscheidend, uns zu vergewissern, was unsere Grundlage ist: politisch, religiös, menschlich.

Unsere politische Grundlage, das Grundgesetz, ist torpediert und in Frage gestellt, wenn der Eindruck um sich greift, dass das Grundgesetz mit seinen Bürgerrechten die Möglichkeit verbaue, den Terror zu bekämpfen. Wenn das Grundgesetz umgeschrieben würde, wäre das die Kapitulation des Rechtsstaates vor dem Terrorismus, ohne dass auch nur ein Schuss gefallen ist.
Und wenn jetzt jemand sagt, wir als Kirche hätten uns aus all dem herauszuhalten und dazu z.B. die dunklen Seiten der Kirchengeschichte hervorholt, nennen wir sie Inquisition, dem sei gesagt: Als Christen können und dürfen wir nicht schweigen, denn hier geht es ums Ganze, um den Menschen und seine Würde.

Der Vorschlag, Terrorverdächtige gezielt zu töten als Prävention, dieser Vorschlag überschreitet jede Grenze. Es ist unsere Pflicht als Christen, uns dagegen zu stellen und damit klar zu machen, dass die Menschenwürde unantastbar ist, weil jeder Mensch Gottes Ebenbild ist.

Das Fundament einer freien Gesellschaft ist das Doppelgebot:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

Mit dem Gleichnis, das dann folgt2), macht Christus klar, dass Barmherzigkeit alle menschlichen Barrieren überschreitet, ob politisch oder religiös.
Auf keinen Fall darf die Gefahr des Terrorismus unterschätzt werden, es darf keine Arglosigkeit um sich greifen. Ich bin soviel in der Weltgeschichte unterwegs, dass ich die Sicherheitsvorkehrungen für gut und wichtig halte. Aber alles muss sich im Rahmen des Grundgesetzes und des Rechtsstaates bewegen, d.h. im Rahmen der Menschenwürde.

Liebe Schwestern und Brüder! Jeder ist mein Nächster, an ihm, an ihr muss mir soviel gelegen sein, wie an mir selber, auch an gegenseitiger Sicherheit. Der Weg dahin besteht aus drei Schritten:

  1. sich selber lieben, in einem gesunden Egoismus gut zu mir selber sein, mir etwas gönnen, aber auch ehrlich sein vor mir selber;
  2. in jedem Menschen zuerst Gottes Ebenbild sehen, Interesse am Leben des anderen zu haben, um dann miteinander die Wurzeln des Bösen zu zerbrechen und zu beseitigen;
  3. im Letzten wissen, dass wir alle in Gottes Hand geborgen sind.

Gerade in Zeiten, in denen mit gesteuerter Angst, die durchaus auf realer Gefahr beruht, Politik gemacht werden soll, ist ein geschärfter Blick auf unsere Grundlagen notwendig. Es braucht eine gemeinsame Demonstration unseres Bundes mit und als Christen untereinander. Und wir brauchen einen offenen, aber sehr selbstbewussten Dialog mit allen Menschen in unserer Gesellschaft.

Ein Letztes, auch wenn ich persönlich den Eindruck habe, mich an dieser Stelle dauernd zu wiederholen: ich bleibe dabei, an uns ist, die Botschaft des Evangeliums zu leben. Das ist keine Überforderung, denn auch für uns gelten die Worte der Lesung:

„Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“


1) Lesung: 5. Mose 30,11-14 (Die Wahl zwischen Leben und Tod)

Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, daß du sagen müßtest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, daß wir's hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, daß du sagen müßtest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, daß wir's hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, daß du es tust.

2) Evangelium: Mt 10, 25-37 (Der barmherzige Samariter)

Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?
Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
Er antwortete und sprach: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst»
Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.

Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?
Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen.
Es traf sich aber, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber.
Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.
Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn;
und er ging zu ihm, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.

Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!


Die Bibeltexte sind aufgrund des bestehenden Copyrights NICHT der Einheitsübersetzung entnommen, sondern stammen aus der Luther-Bibel in der Revision von 1984.