Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Ratheim und die Zeche Sophia Jacoba

von Johannes Bürger
 

Unser Heimatort und unsere Pfarrgemeinde sind in vielfältiger Weise eng mit der Gewerkschaft Sophia Jacoba verbunden, und zwar überwiegend in positiver Hinsicht, aber auch in manchem negativ.

Als nach dem 1. Weltkrieg die Kohleförderung bei der Gewerkschaft Sophia Jacoba aufgenommen wurde, fanden auch viele Ratheimer bei der Zeche Arbeit und Brot. Vor allem waren es Handwerker, die in Privatbetrieben ihre Lehre absolviert hatten, aus dem Krieg zurückkehrten, in ihren Lehrbetrieben nicht mehr unterkommen konnten und nun zur Zeche gingen. Anfangs wurden sie in ihrer bürgerlichen Umgebung scheel angesehen, denn die Arbeit bei der Zeche stand in den ersten Jahrzehnten in unserer Gegend nicht hoch im Kurs ("Kullepitter").

In den 20er Jahren kamen viele Menschen aus Ostpreußen, Schlesien und dem Ruhrgebiet in unsere Gegend. Um 1930 wurde in Ratheim für sie die erste Bergarbeitersiedlung jenseits der Bahn gebaut: Ackerstraße, Feldstraße, Grünstraße und Diebsweg. Aus dem Aachener Steinkohlenrevier wechselten meist Steiger nach Sophia Jacoba, für die in Ratheim an der Bahnhofstraße die im Volksmund so genannten "Beamtenhäuser" gebaut wurden. Die Bewohner dieser Häuser galten in Ratheim als besonders vornehme Leute.

1930 wurde zwischen Ratheim und Altmyhl auch mit der Teufung von Schacht 4 begonnen, der aber nur als Luft- und Rettungsschacht genutzt werden sollte. 1934 war er fertig, und nun hatte Ratheim auch seinen typischen Förderturm. (Ein solcher ist heute noch auf der Hauptschachtanlage in Hückelhoven zu sehen.) Die Feldmark zwischen Ratheim und Schaufenberg wurde zu dem heute dort noch bestehenden Rangierbahnhof für Kohlenzüge ausgebaut. Nach der Errichtung der Bergmannssiedlung in Schaufenberg wurden die Ortschaften Schaufenberg und Millich sowie der erste Teil der Buscher Siedlung von Ratheim abgepfarrt und zum Pfarrektorat Schaufenberg-Millich erhoben.

Nach dem 2. Weltkrieg erfuhr die Buscher Siedlung eine erhebliche Vergrößerung, so dass dort heute ca. 2.200 Menschen leben.
Eine interessante Einzelheit: Während des Krieges war an Schacht 4 ein großes Gefangenenlager für russische Kriegsgefangene - mit Stacheldraht umgeben. Wir Ratheimer Jungen gingen oft an den Stacheldraht und gaben den russischen Soldaten, die alle einen unterernährten Eindruck machten, Butterbrote. Als Geschenk dafür bekamen wir von ihnen handgeschnitzte Tiere und Spielzeug.
Zwischen 1958 und 1964 wurde neben Schacht 4 in Ratheim Schacht 6 abgeteuft, der nach seiner Fertigstellung den Namen "HK (Helmut Kranefuß)" nach dem damaligen Vorstandsvorsitzenden erhielt. Seit 1964 erfolgte dann die Kohleförderung fast ausschließlich über die Schächte 4 und HK.

In den 60er und 70er Jahren fand der Hauptkohleabbau unter Ratheim statt. Dadurch hatte unser Ort stark unter Bergschäden zu leiden. Manche Häuser fielen diesen Schäden ganz zum Opfer, manche wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Das war vor allem für ältere Bewohner in älteren Häusern sehr hart, weil diese für die von der Zeche gezahlte - wenn auch großzügige - Entschädigung kein neues Haus bauen konnten. Sie mussten dann die letzten Jahre ihres Leben in einer Mietwohnung verbringen. Das war für ältere Menschen, die das nicht gewohnt waren, leidvoll.

Für uns Ratheimer war und ist aber besonders das Zukippen der "Haller Tannen" sehr schmerzlich. Die "Haller Tannen" waren ein sehr schönes Waldgebiet, das vielen Ratheimer Leuten als Erholungs- und Spaziergebiet vor allem an Sonntagnachmittagen diente. Insbesondere hielten sich hier die invaliden Bergleute sehr oft auf. Leider ist es inzwischen fast ganz von Bergehalden zugekippt. Das war ein Preis für das wirtschaftliche Aufblühen in unserer Gegend.

Die Einwohnerzahl von Ratheim hat sich seit dem 1. Weltkrieg, insbesondere infolge des Zuzuges von Bergleuten, verdoppelt. Vielen Mitbürgern bietet die Zeche einen Arbeitsplatz mit gutem Verdienst. Sophia Jacoba ist auch ein guter Ausbildungsbetrieb.

Die Struktur unseres Ortes hat sich in dieser Zeit völlig gewandelt. Das mittelständische Gewerbe ist aufgeblüht.
Auch Ratheim würde sehr hart getroffen, wenn es zu einer Stillegung der Zeche kommen würde. Aber auch dann müsste und würde es weitergehen. Jetzt kommt es mehr denn je darauf an, dass wir alle zusammenstehen.


(aus dem Pfarrbrief März 1989)