Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Ratheim

von Johannes Heinrich Terboven (Hückelhoven 1949)
 

Der Name „Ratheim" ist fränkischen Ursprungs. Man zählt die „heim"-Orte zu den ältesten fränkischen Gründungen, die bis in die Völkerwanderungszeit zurückreichen. Allerdings ist der Wortstamm „Heim" auch später oft zur Bildung von Ortsnamen herangezogen worden. Ursprünglich sind die Heim-Siedlungen Einzelsiedlungen eines Bewohners mit seiner Familie gewesen, mithin die Grundbedeutung des Wortes „Heim" eine einzelne Heimstätte bezeichnet. Daher ist dieses Stammwort zumeist mit einem Personennamen verbunden, durch den das Andenken an den Gründer der Siedlung festgehalten wird.

Urkundlich ist die älteste Schreibweise von Ratheim im Jahre 1166 „Rotheim", später liest man auch „Rothem" und „Rotheim", „Rathem" und Ratheim. Der Stammbildung „Rath" liegt wahrscheinlich der Personenname „Rother", „Rother", "„Roticar". oder „Rothard" zugrunde. - Aus „Rotharheim" wurde das bequemer auszusprechende „Rothem", „Rotheim".
Eine andere Deutung zählt Ratheim. zu den Rodungsorten und bezeichnet den Ort als „Heim auf der Rodung". Gegen die Auslegung, so klar und deutlich sie auch ist, sprechen zwei Tatsachen: erstens, dass die Rodungsorte das Bestimmungwort in der ersten Silbe haben, z B. Houverath, Golkrath, Gerderath, Granterath, Hetzerath usw. und zweitens, dass die Rodungsorte viel später, erst nach 800 entstanden sind, was aber im Gegensatz steht zu den Römerfunden, die man hier gemacht hat.

Denn die Anfänge von Ratheim reichen aller Warscheinlichkeit nach sogar bis in die Römerzeit zurück. Die römischen Flachziegelstücke, die in die nördliche Außenmauer der Ratheimer Kirche gekommen sind, können doch nur von einem untergegangenen Bau aus der Römerzeit sein, der in der Nähe gestanden hat. Ebenso weist die bei Erdarbeiten seitlich des Weges von Ratheim über Altmyhl nach Myhl gefundene Römermünze auf Bewohner jener Zeit hin. Es können aber nur wenige Siedlungen gewesen sein, da sie es nicht zu einem selbständigen römischen Ortsnamen gebracht haben. Eine alte Römerstraße führte am rechten Rurufer entlang von der Maas bis Düren und berührte auch Ratheim.

In einer Urkunde vom Jahre 1296 wird der Ort eine „villula" — Dörfchen, 1305 eine „villa" = Dorf genannt. Die Gemeinde Ratheim ist an Ausdehnung ihren Nachbargemeinden weit überlegen, umfasst sie doch ein Gebiet von 1178 ha, während Kleingladbach 1103, Myhl 606 und Hückelhoven nur 518 ha groß ist. Wenn auch die Größe kein Maßstab für das Alter einer Ortschaft ist, so ist sie doch bezeichnend für ihre Bedeutung im Kreise ihrer Nachbarn, und diese Bedeutung hatte Ratheim früher durch seine zahlreichen Herrensitze und Gutshöfe.

Schon in mittelalterlicher Zeit besaßen die Herren von Palant zu Ratheim einen Hof, vielleicht war es der Ohof, ein jülichsches Leben, das von der Lehnkammer in Wassenberg verliehen wurde. Der Ohof liegt außerhalb des Dorfes an der Rur. Hier führte in alter Zeit eine Hauptverkehrsstraße über den Fluss. Personen und Güter wurden, da eine feste Brücke noch nicht vorhanden war, mittels einer Fähre und später auf einer Kettenbrücke über die Rur befördert. Dieser Übergang war im ersten Koalitionskriege gegen Frankreich in den Jahren 1793 und 94 eine wichtige Kampfstellung zwischen Österreichern und Franzosen. Die Heerstraße Neuß-Maastricht führte hier über die Rur.

Der mächtigste Herrensitz war der Hof „Ratheim". Die älteste Nachricht über diesen Hof, "de cimiterio", bei dem Kirchhof gelegen, stammt aus dem Jahre 1296. worin Ritter Wilhelm zu Reddinghoven bekundet, dass die Güter zu „Rotheim", welche zuerst Ritter Arnold inne hatte, frei sind.

Der letzte Besitzer des Ratheimer Hofes war „Arnoldus von Rotheym", Dechant beim Gangolfusstift zu Heinsberg, der 1305 „um des Heiles seiner Seele und des seiner Eitern willen den Hof dem Stifte zu Heinsberg zur Dotierung eines neunten Kanonikates schenkte. Nach den Einkünften, die das Gangolfusstift bis zu seiner Auflösung im Jahre 1302 aus den Ländereien des einstigen Ratheimer Hofes hatte, lässt sich die Größe desselben auf etwa 203 Morgen berechnen. Die Übergabe der Schenkung durch den Stiftsdechanten Arnold von Rotheym erfolgte, wie damals bei Übertragung allodialer (= freier) Güter üblich, symbolisch durch Überreichung eines Stückes Rasen, eines Messers mit weißem Stiel und eines Denars in Gegenwart eines Vertreters des Herrn von Wassenberg, mehrerer Wassenberger Schöffen und Lehnmannen, der Pfarrangehörigen von Ratheim, der Verwandten des Stifters, des Pfarrers Dietrich von Hückelhoven und dessen Bruders Johann von Hückelhoven und noch vieler anderer.

Trotz seiner Bedeutung und seiner Lage an der Kirche hatte der Hof Ratheim weder das Patronatsrecht an der Kirche, noch war er am Zehnten beteiligt. Den Zehnt besaß neben dem Pfarrer anfänglich der Winkelhauser Hof. Letzterer übertrug die Hälfte seines Anteils im 15. Jahrhundert dem Besitzer von Haus Hall. Der Anteil der beiden weltlichen Zehntinhaber war ziemlich gleichwertig und betrug für jeden durchschnittlich 30 Paar Korn, das sind 30 Malter Roggen und 30 Malter Hafer, das Malter ungefähr 100 Kilogramm. Den dritten etwas geringeren Teil bezog der Pastor von Ratheim. Den Zehnten von altem gerodeten Lande, der Rottzehnt genannt, besaß der Landesherr.

Noch um 1300 war Grund und Boden in Ratheim überwiegend Eigentum großer Hofherren, deren größte Besitzung wohl Haus Hall gewesen ist, das sich als einzige Gutsherrschaft noch bis heute erhalten hat. Ein Abspliss von Haus Hall ist das Gut „an der Mahr", heute Mahrhof genannt.

Im 17. Jahrhundert bestand das Kirchdorf Ratheim aus 1278 Morgen steuerbaren und 1439 Morgen steuerfreien Ländereien. Steuerfrei waren:

Ratheim gehörte in der fränkischen Zeit zum Mühlgau und im Mittelalter zum alten Herzogtum Jülich, Amt Wassenberg. Unter der französischen Fremdherrschaft bildete der Ort eine eigene Mairie im Arrondissement Aachen, Departement der Rur, wovon die Stadt Aachen der Hauptort und Sitz des Präfekten war. Durch den Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 wurde Ratheim wieder von Frankreich getrennt und im Wiener Kongress 1815 der Krone Preußens zugeteilt. Die Gemeinde fiel an die Provinz Niederrhein, Landkreis Heinsberg, Diözese Köln, Friedensgericht Heinsberg, Landgericht Aachen.

Unter preußischer Herrschaft war Ratheim mehr als 100 Jahre Bürgermeisterei im Kreise Heinsberg, bis am 1. Oktober 1935 im Zuge der Neugliederungen im Bezirk Aachen die Einverleibung mit der Großgemeinde Hückelhoven erfolgte.

In seiner Geschichte und Geographie des Rurdepartements vom Jahre 1804 nennt der Stolberger Lehrer Johannes Schmidt Ratheim ein katholisches Kirchdorf, dessen Bewohner von Ackerbau. Hornvieh- und Schafzucht und vom Flachsbau leben.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die Bevölkerung aus Bauern und Handwerkern zusammen. Als Weber, Schuster und Holzschuhmacher und in kleinen Schuhfabrikbetrieben hatten viele ihren bescheidenen Lebensunterhalt. Um das Jahr 1906 herum wurden gar manche wegen der besseren Verdienstaussichten dem Handwerk untreu und suchten Arbeit bei den Glanzstoffwerken im benachbarten Oberbruch.

Nach der Volkszählung vom 3. Dezember 1867 zählte Ratheim 444 Häuser mit 462 Haushaltungen und 2156 Bewohnern. Die Einwohnerzahl stieg bis zum ersten Weltkrieg auf rund 2500. Einen bedeutsamen Bevölkerungsaufschwung nahm Ratheim, als die industrielle Entwickelung durch die Steinkohlenzeche Sophia-Jacoba einsetzte. Die Einwohnerzahl hat sich in einigen Jahrzehnten verdoppelt. Ratheim wurde eine ausgesprochene Arbeiterwohngemeinde. Das Steinkohlenbergwerk gibt den meisten Bewohnern Arbeit und Brot. Daneben haben die Schuhindustrie und Holzschuhfabrikation große wirtschaftliche Bedeutung. Die Landwirtschaft ist nicht mehr vorherrschend. Am 15. Dezember 1911 wurde die Bahnstrecke Jülich-Dalheim eröffnet, an der auch die Station Ratheim liegt.


Dieser Beitrag wurde entnommen aus:
TERBOVEN, Johannes Heinrich (1949): Lokalgeschichtliches, Sagen und Legenden aus dem Bereich der Großgemeinde Hückelhoven-Ratheim, zusammengestellt für den Schulgebrauch von Johannes Heinrich Terboven, Rektor der Volksschule Hückelhoven I. - Verlag Gillessen, Hückelhoven (Nachdruck von 1985)