Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


"Bei Baron Kastanien klauen"

von Helmut Winkens
 

Vorbemerkung: Für Ratheimer ist die nächste Gelegenheit, Ess-Kastanien legal zu sammeln, der Wassenberger Wald. Im 20. Jahrhundert - und wahrscheinlich auch schon vorher - hat es daher in Ratheim wohl kaum ein Kind gegeben, das nicht von den leckeren Kastanien im Park von Haus Hall fasziniert gewesen wäre und ihnen einen Besuch abgestattet hätte! Hiervon handeln die folgenden Anekdoten.

Ursprünglich hatte wohl eine Allee von Kastanienbäumen entlang der Schmitter Straße und der Hofeinfahrt zu Haus Hall gestanden und der "alte Baron" (Egon Freiherr Spies von Büllesheim) wachte "eifersüchtig" über sie. In den 60er Jahren war von diesem Bestand nur ein einzelner freistehender Kastanienbaum im Park erhalten geblieben.


Aus den 1930er Jahren:

Ein Mädchen aus Hagbruch befand sich auf dem Rückweg von der Schule, zusammen mit einigen Buscher Jungen. Am Ende der Venn, wo man sich eigentlich trennen musste, wurde es von den Jungen angestachelt:

"Du bes et Klennste. Kruup doch ens duur de Heck on hol os jet Kaschteie! Wer passe op."

Das Mädchen ließ sich überreden. Am Loch in der Hecke legte es seinen Schulranzen ab, kroch durch das Loch und begann, herabgefallene Kastanien zu sammeln. Dabei wurde sie vom "alten Baron" gesehen und er kam hinter der Hecke entlang um es abzufangen. Die Jungens stießen einen Warnruf aus und versteckten sich  eilends, was das Mädchen aber nicht bemerkte. Der Herr Baron nahm den bei der Hecke liegenden Ranzen und ging fort, ohne ein Wort zu sagen.

Als das Mädchen von seinem Beutezug zurück kam, wurde ihm berichtet, was geschehen war. Tränenüberströmt lief es nach Hause und wurde von der Mutter gefragt:

"Kenk, wat es dann?"
"Baronn hätt mech dr Tornister afjenoame!"
"Wiesue dat dann?"
"Ech woar Kaschteie klaue."
"Joa, dann jank mar no Baronn on kick, datte öm wier kriss!"

Im Hof von Haus Hall traf es den Verwalter Sieben, der ihre Tränen bemerkte und nach dem Grund fragte. Nachdem er ihn erfahren hatte, deutete er auf ein Kellerloch und meinte:

"Dat es, wo all die henkomme, die Kaschteie klaue dont",

wodurch die Stimmung des Mädchens natürlich nicht besser wurde. Den Ranzen bekam es vom Herrn Baron zwar zurück, wurde aber dazu verurteilt, eine Woche lang jeden Tag die Kastanien einzusammeln und abzuliefern; mitnehmen dürfe es nichts. Dies versprach es auch.

Bereits am zweiten Tag bot die ältere Schwester des Mädchens ihm Hilfe an, die auch dankbar akzeptiert wurde. Dann aber bemerkte das Mädchen, dass seine Schwester beim Sammeln auch Kastanien in die Unterhose steckte.

"Dat mosse nit don! Dä merkt dat! Die komme doch onge wärr eruut!" meinte es.
"Nä," erwiderte die Schwester, "ech han doch extra enne Knoop drenjemakt!"

Und so hatte das Mädchen die ganze Woche lang Hilfe von ihrer Schwester.

(nach der Schilderung einer ehemaligen Hagbrucherin)


Auch Abels August war während seiner Schülerzeit vom "alten Baron" bei den Kastanien erwischt worden und sollte in den Keller gesperrt werden. Weil dieser aber schon "besetzt" war, wurde August im Weinkeller eingeschlossen. Da er nichts Besseres zu tun hatte, köpfte er eine Weinflasche und verbrachte ein paar angenehme Stunden damit. Als er wieder entlassen werden sollte, fand man ihn betrunken auf dem Boden liegend.

(nach der Schilderung eines alten Ratheimers)


Aus den 1960er Jahren:

Eine Gruppe von Messdienern hatte sich vor der Messdienerstunde am Freitag Abend im Park eingefunden, um Kastanien zu "ernten"; man warf Stöcke in das Astwerk, um die begehrten Früchte zu bekommen. Die "alte Baronin" hatte dieses Treiben jedoch bemerkt, schlich sich außerhalb der Hecke, die Haus Hall von der Oberbrucher Straße trennt, hin zu der Stelle, wo die Messdiener ihre Fahrräder abgestellt hatten, und "erntete" die Ventile sämtlicher Reifen. Anschließend fuhr sie in aller Seelenruhe zur Pfarrkirche und übergab Pastor Pütz zwei handvoll Fahrradventile.

Als die Messdiener mit ihrer Beute zu ihren Rädern zurück kamen, bemerkten sie zu ihrem Entsetzen, was passiert war. Sie mussten nun ihre Räder zur Kirche schieben und hatten keine Chance, dort die Messdienerstunde noch rechtzeitig zu erreichen.

An der Kirche anzukommen bekamen sie dafür von Pastor Pütz gehörig "den Kopf gewaschen".

(nach der Schilderung eines ehemaligen Messdieners)