Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Der gutmütige Jäger Knorr

nach Bernhard Meurer, aufgeschrieben von Johannes Bürger (1979)
 

In früheren Jahren war die Zahl Not leidender Familien groß, doch größer war das Bestreben, sich selbst durchzuschlagen. Strebsame Menschen rechneten es sich zur Unehre an, aus öffentlichen Mitteln unterstützt zu werden. Nur in größter Not gingen die Ärmsten – und das auch nur abends – aus, klopften, um nicht erkannt zu werden, in der Dunkelheit bei Bessergestellten an und steckten dankbar eine ihnen dargebotene Gabe ein.

Zeichnung: Knorr am Kellerfenster
Bildquelle: Hans-Peter Funken (1979)
 

Eines abends kam der Jäger Knorr, der „Alte Wirt" genannt, spät nach Hause zum heutigen „Jägerhof". Seine Gaststätte war geschlossen. Im Dunkeln sah er jemanden stehen. Der Fremde entfernte sich jedoch, so dass Knorr nichts Gutes ahnte. Dieser kam bis an das bei der Haustreppe gelegene Kellerloch, und wie er dort stand, reichte jemand aus dem Keller ein Schwarzbrot. Indem er es annahm, flüsterte Knorr jenem zu:

„Sieh doch mal nach, ob Du nicht auch ein Weißbrot findest."
Der im Keller Anwesende erklärte: „Nein, lasst uns mit Schwarzbrot zufrieden sein, mit Schwarzbrot haben wir genug."
„Auch gut", flüsterte Knorr, um sich nicht zu verraten.

Dann reichte er dem im Keller Befindlichen die Hand und half ihm heraus. Doch, was für eine Überraschung, als dieser anstatt seines vermeintlichen Komplizen, den „alten Jäger Knorr" erkannte.

Ohne Aufsehen holte Knorr in seiner Gutmütigkeit den Fremden mit ins Haus und sagte ihm:

„Weil Du mit Schwarzbrot zufrieden warst und nur Deiner Kinder wegen so handeltest, sehe ich Dir alles nach, und wenn meine Frau irgendwo noch ein Weißbrot hat, so sollst Du das auch noch haben."

Er fand wirklich eins, und froh beglückt, ohne weiteren Tadel, entließ Knorr den Ein­dringling. Beschämt, doch dankerfüllt, nahm dieser Abschied vom „Alten Wirt"; der gab ihm noch die Hand und sagte ermunternd:

„Wenn Du nächstens mal wieder in Not bist, dann steige nicht mehr durch Kellerlöcher, sondern gehe zu den Leuten, klage ihnen Deine Not und sie werden Dir um Gottes Lohn willen gerne helfen. Zu solchen frohen Gebern will auch ich gehören."
 


Text und Bild mit Erlaubnis der Autoren entnommen aus:
Bürger, J. (1979): Bernhard Meurer aus Ratheim. - in: Kreis Heinsberg (Hrsg.): Heimatkalender des Kreises Heinsberg, S. 130ff