Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Die Geschichte vom heiligen Mann

nach Bernhard Meurer, aufgeschrieben von Johannes Bürger (1979)
 

In Busch lebte vor mehr als 100 Jahren der Leineweber Gerhard Steffens, im Dorf „Weverkes Grades" genannt. Zu diesem kam zur Abendunterhaltung regelmäßig der Tagelöhner Nikolaus Breuer. Eines Abends sagte Steffens zu Breuer:

„Du könntest mal den heiligen Mann spielen morgen Abend".
Breuer erwiderte: „Du hast gut reden, ich habe Sorgen genug, um so viel nach Hause zu bringen, dass meine Frau zufrieden ist. Ich habe nichts zu verschenken, habe nichts, um andere wie ein heiliger Mann zufrieden zu machen."
Steffens antwortete: „Breuer, lass das nur meine Sorge sein. Du kommst morgen Abend zu mir, ich rüste Dich aus."

Darauf sagte Breuer zu. Als er nun am nächsten Abend kam, wurde er entsprechend angekleidet. Dann schnallte Steffens ihm auf den Rücken einen großen Korb, wie ihn die Landwirte als „Kaafmang" hatten. Viel Gutes, viel Nützliches wurde in den Korb gelegt, auch etwas Unnützes. Steffens sagte schließlich zu Breuer:

„Du weißt, drüben wohnt der Schuster Hüsges, ,Hüsges Küs`; der hat zwei Töchter, er wird sich freuen, wenn der heili­ge Mann zu seinen Kindern kommt. Ihnen gibst Du das meiste von dem Guten aus dem Korb. Mit dem Bischofsstab schlägst Du an die Haustür und wenn Hüsges dann fragt: Wer ist dort?, dann sagst Du: Hüsges Küs, mach em op, der heilige Mann ist da."

So zog der heilige Mann denn los, kam zu Hüsges' Haus und schlug mit dem Bischofsstab an die Tür. Da kam gleich vom Schusterstuhl die Frage:

„We es do?"
„Der heilige Mann, Hüsges Küs, mach doch op!"

Zeichnung: der heilige Mann im Teich
Zeichnung: Hans-Peter Funken (1979)
 

Da, drinnen ein Poltern, ein Schimpfen; Hüsges hatte eiligst seinen Spannriemen ergriffen, öffnete die Tür und schon sauste der Spannriemen dem heiligen Mann um die Ohren. Dieser wandte sich Hals über Kopf zur Flucht, Hüsges hinter ihm her. Breuer suchte den Schlägen zu entgehen und rannte durch das Wasser des Feuerlöschteiches. Der Schuster mit dem Spannriemen erwartete ihn bereits am anderen Ende des Teiches und hieb auf ihn los, denn er war sehr auf den heiligen Mann erbost, weil dieser ihn „Hüsges Küs" genannt hatte. Diesen Beinamen mochte der Schuster absolut nicht haben; der wirkte auf ihn wie ein rotes Tuch.

Breuer rannte in der Not Steffens Haus zu, um mit seinem schweren Korb in Sicherheit zu kommen. Doch, was ein Pech! Der Korb war breiter als die Tür, er konnte nicht hinein und fiel nochmals in die Hände seines Verfolgers, denn ehe er den Korb abstreifen konnte, verging noch einige Zeit.

Später sagte Breuer zu Steffens: „Du hast mich einmal angeführt, ein zweites Mal nicht wieder."


Text und Bild mit Erlaubnis der Autoren entnommen aus:
Bürger, J. (1979): Bernhard Meurer aus Ratheim. - in: Kreis Heinsberg (Hrsg.): Heimatkalender des Kreises Heinsberg, S. 130ff  


Zusatz  nach Engelbert Kramer:

Siebzig Jahre später ging ein Mann aus Busch zum Selfkant, um eine Kuh zu kaufen. Bei Havert fragte ihn eine ältere Frau nach seiner Herkunft. Als der Buscher dann Ratheim nannte, war die Frau sichtlich erfreut, denn sie war ein Buscher Kind. Nun wurde erzählt und gefragt; dabei hob sie lachend hervor, ihr Vater habe in ihrer Jugend einmal den heiligen Mann verprügelt.


aus: KRAMER, E. (1961): Ratheimer Originale. Was Bernhard Meurer von ihnen erzählte. - in: Kreis Erkelenz (Hrsg.): Heimatkalender der Erkelenzer Lande, S. 154