und unsere Gemeinschaft der Gemeinden
von Peter Schlebusch (1965)
Im Jahre 1909 erschien in den nord- und östlichen Tageszeitungen unseres damaligen Vaterlandes folgende Nachricht:
"In der Nähe von Aachen ist ein ganzes Dorf abgebrannt, mit Namen 'Garsbeck'."
Diese Zeitungsente stimmte insoweit, dass von der aus sieben Häusern bestehende Ortschaft Garsbeck vier vollständig bis auf den Grund abgebrannt waren und vom fünften nur noch
die Außenmauern stehen blieben.
Als Augenzeuge berichte ich über diesen Brand folgendes:
Im Jahre 1909, am Tage vor St. Markus, dem 24.4., saß ich am Frühstückstisch, gegen 9-Uhr. Ich war frühmorgens aufgestanden und hatte Feldarbeit verrichtet, die ich meinem alten Vater nicht zumuten konnte. Als ich nun mein Frühstück am verzehren war, Weiß- mit Schwarzbrot aufeinander mit Butter und Klatschkäse (Quark), kam meine Mutter vom Hof herein und sagte:
"Jong unser ganzer Hof ist voller Rauch, ich glöv et brennt irgendwo in der Nachbarschaft."
Als ich nun sofort herauslief, sah ich, dass rechts vom Nachbarn eine Rauchsäule hervor schoss. Im Nu lief ich zum Nach herüber. Unser Nachbar war ein Schuster. Er hatte seine Werkstatt gleich neben unserem Hause. Der saß noch ruhig und schlug Kräftig auf den Penn. Ich rief ihm zu:
"Schafhuese, et brennt bei Euch"
"Wat,wat?" entgegnete er.
Auf seinem Hof angelangt sah ich aber, dass die Rauchsäule rechts von dessen Nachbarn hervorschoss und direkt an der Grenze. Dieser Nachbar hieß Thönnissen und hatte einen großen Bauernhof. Die Gebäude bestanden eher zum größten Teil aus Fachwerk. Inzwischen hatte Schafhausen sich zu mir gesellt und wir berieten, was zu tun sei. Die Familienangehörigen von Schafhausen waren alle auf dem Feld beschäftigt, denn auch Schafhausen betrieb nebenbei noch eine kleine Landwirtschaft. Alles vorhandene Vieh aus den Ställen, wichtige Papiere und eventuell vorhandene Geld sicherzustellen, war unser erster Gedanke.
Bei uns war noch ein junges Rind im Stall, das ich auf eine Weide in der Nähe unseres Hauses trieb, ebenfalls zwei Schweine und eine Ziege. Mittlerweile war mein Vater auch mit zwei Arbeitskühen nach Hause gekommen, die auch auf die Weide getrieben wurden. Dieses alles war vielleicht in einer Zeit von einer 1/2 Stunde geschehen. Die Ratheimer freiwillige Feuerwehr war mittlerweile auch eingetroffen und begann beim Nachbarn Thönnissen mit den Löscharbeiten.
Nun geschah etwas, worüber ich lieber schweige. Wäre dieses nicht geschehen, wären vielleicht die anderen Gebäude von Garsbeck nicht abgebrannt. Aber der Brand weitete sich weiter aus. Dieser Brand war der erste große Brand den die Ratheimer freiwillige Feuerwehr zu bekämpfen hatte und [sie] erhielt hier ihre Feuertaufe. Gegen Mittag war die Feuerwehr Herr der Lage, der Brand war an der Grenze [zwischen] Schafhausen und uns zum Stillstand gekommen. Es sah alles friedlich aus und zwar so, dass die Feuerwehr unter Zurücklassung einer Wache abrückte.
Um die jetzige Lage zu erläutern muss ich folgendes bemerken. Unser Kuhstall und der Kuhstall unseres Nachbarn Schafhaussen lagen nebeneinander, und auf beiden Kuhställen war Heu und Strohs gelagert. Beide Ställe waren nur durch eine Fachwand getrennt. Die Brandspritze stand auf unserem Hof neben der Wasserpumpe. Ein Feuermann von der Wache, die zurück geblieben war, saß auf dem Dach unseres Kuhstalles. Die Spritze war auch mit vier Mann besetzt. Damals ging noch alles mit Handbetrieb. Alles zeigte dafür, dass alles gut gehen würde. Zeigte sich irgendwo ein Fünkchen, hiess es "Wasser marsch" und alles war wieder in Ordnung.
Nachmittags gegen 1-Uhr ein Knall wie ein Kanonenschuss und in einer Zeit von 10 Minuten standen unser Haus mit den Wirtschaftgebäuden, Ställe und Scheune nebst Wohnhaus und die linken Nachbarsgebäude in Flammen.
Auf unserem Speicher lag eine große Menge weißer Weiden, wo das Feuer reiche Nahrung erhielt. Außerdem hatte ein älterer Bruder von mir, der bei den 99ern gedient hatte, eine Menge Infanterie Platz- und scharfer Patronen mit nach Hause gebracht. Wie er das möglich gemacht hatte, ist mir bis heute ein Rätsel. Bei dem Brand wurden diese nun über erhitzt und zersprangen unter lautem Knall. Es hörte sich an wie ein Feuergefecht der Infanterie.
Eine große Menschenmenge hat sich eingefunden. Alle wollten helfen. Der Eine wollte wirklich den Geschädigten helfen, der andere wollte helfen für sich. Ein großer Korb mit gebügelter Wäsche wurde gerettet, nachher aber nicht mehr gefunden. Mein Sonntagsanzug mit Uhr und Kette wurde auch gerettet. Der Anzug wurde nachher etwa 100 Meter vom Hause entfernt in einem Gebüsch aufgefunden, aber die Uhr mit der Kette blieben verschwunden.
Damals wurde die Milch noch in Steintöpfen aufgesetzt. Außer der Milch, die ausgetrunken wurde, wurde auch ein Fässchen selbst gemachten Wein von Stachelbeeren ausgetrunken. Die Folge war, dass viele der Anwesenden angetrunken waren. Dazu kam noch, das bei einer Wirtschaft in dem benachbarten Luchtenberg Schnaps geholt wurde und auch getrunken wurde. Eine angetrunkene Menschenmenge lagerte auf der Viehweide 'Peesch' genannt. Es kam sogar zu Streitigkeiten, die aber von beherzten Männern geschlichtet wurden.
Der Brand dauerte bis in die Nacht. Die Feuerwahr war machtlos und wenn die zurück gebliebene Wache nicht so schnell gewesen wäre, wäre die Brandspritze mit verbrannt. Der Feuerwehrmann auf dem Dach musste vom Dach den Sprung zur Erde machen, sonst wäre er in das Feuermeer gefallen und verbrannt. Bei unserem linken Nachbarn fand das Feuer sein Ende. So wurden vier Familien obdachlos. Wir fanden auf dem benachbarten Krickelberg bei einem verheirateten Bruder Unterkunft.
Der Tag nach den Brand war ein Sonntag und zwar St. Markustag. Die St. Markusprozession zog von Ratheim zum Garsbecker Kreuz. Von Ferne sah man noch Rauchschwaden aus den Trümmern von
Garsbeck emporsteigen.
Die Versicherungsangelegenheiten waren schnell erledigt und die Aufbauarbeiten begannen. Viele Arbeit war die Fortschaffung der Trümmer. Die Bauern von Krickelberg und Vogelsang boten sich
an, mit ihren Pferdefuhrwerken die Trümmern fort zu fahren. Es entstand ein neues Garsbeck. Die Bauunternehmer Michael Lenz und Wilhelm Janssen waren daran beteiligt.
Auch das deutsche Wirtschaftswunder ist an Garsbeck nicht vorbei gegangen. Inzwischen ist Garsbeck auf elf Häuser angewachsen und es wird noch weiter wachsen, weil dort die
Baugrundstücke nicht so teuer sind, wie in Ratheim.
Aber [auch] nach Jahren machten sich die Folgen des Brandes noch bemerkbar. Obstbäume, die zu nah am Feuer gestanden [hatten], gingen nach Jahren ein oder sie trugen kein Obst mehr.
Anmerkung von Helmut Winkens: diese Schilderung wurde aus der maschinengeschriebenen "Ratheimer Chronik" von Peter Schlebusch übertragen; Tippfehler des Autors wurden dabei korrigiert.