Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden


Der Fluch

von Helmut Winkens


Unter älteren Ratheimer Bürgern ist noch eine Erzählung lebendig, nach der ein Knecht auf einen Ratheimer Pfarrer geschossen hat, woraufhin dieser das Dorf mit einem Fluch belegt haben soll.

Die geschichtlichen Hintergründe dieser Sage verlieren sich heute im Dunkeln, allerdings sind auch zwei Sekundärquellen zu finden, die über diesen "Tatbestand" berichten.

Peter Schlebusch gibt 1965 in seiner Ratheimer Chronik folgende Erzählung wieder:


Vor circa 70 Jahren erzählten alte Leute, man hätte auf einen Ratheimer Pfarrer, als er gerade zu Bett gehen wollte, geschossen. Die Kugel sei dem Pfarrer am Ohr vorbei in die Zimmerdecke gedrungen - da soll der Pfarrer den Fluch ausgesprochen haben, dass innerhalb von 100 Jahren kein Priester mehr aus Ratheim hervorgehen solle.

Dieser Fluch schien tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Alle diejenigen, die sich am Anfang ihres Studiums vorgenommen hatten Priester zu werden, schlugen bei der Entscheidung um, und diejenigen, die das nicht taten, starben.

Da nun der fromme und segensreiche Pfarrer Lorenz Offermanns (Pastor in Ratheim von 1912-1945) den Wunsch hatte, während seines Wirkens doch Neupriester aus der Pfarre Ratheim am Altar zu sehen, machte er eine Wallfahrt nach Rom zum hl. Vater und bat ihn, den Fluch von Ratheim wegzunehmen. Der hl. Vater entsprach der Bitte und beauftragte den Orden der Gesellschaft Jesu, dieses zu tun. Bei der Schlusspredigt einer Mission, die wohl vom hl. Vater angeordnet war, wurde dieser Fluch, der über 100 Jahre auf der Pfarre Ratheim gelastet hatte, vom Leiter der Mission fortgenommen.

Die Auflösung des Fluches hatte einen ungewöhnlichen Erfolg. In wenigen Jahren sah Ratheim sechs Neupriester am Altar, nicht eingerechnet diejenigen, deren Vater oder Mutter Ratheimer waren, aber nicht mehr in Ratheim wohnten.

Der letzte Krieg hat leider auch in dieser Hinsicht viel Schaden angerichtet und viele junge Menschen vom Priesterberuf abgehalten.

Leider ist 1963 auch wieder ein junger Mensch, der vor der ersten Weihe stand (Willi Goertz von der Vennstraße), plötzlich gestorben.


Sollte die Angabe stimmen, dass der "Fluch" über 100 Jahre auf Ratheim gelastet hat, so muss es sich um den Zeitraum 1818-1931 handeln, in dem kein Ratheimer zum Priester geweiht worden ist (vgl. Tabelle "In Ratheim geborene Priester"). Dementsprechend könnte es sich bei dem betreffenden Priester um Pfarrer Oberrhe gehandelt haben, der von 1814-1816 Pastor von Ratheim gewesen ist und bereits nach zwei Jahren diese Pfarrstelle aufgab (siehe Tabelle "Ratheimer Pastöre")

Andere Angaben hierzu machte der aus Ratheim stammende Pfarrer i.R. Heinrich Dentel, der sich um die Ratheimer Pfarr­ und Kirchengeschichte bemühte und der 1985 in Baesweiler verstorben ist. Er berichtet von einem Vorfall Johann Wilhelm von de Venn betreffend, der von 1845-1852 Pastor von Ratheim gewesen war. In seinem Nachlass heißt es dazu, (offenbar basierend auf Erzählungen seiner Verwandten) *):


„Am 22. Januar 1849, abends gegen 11.00 Uhr, wird auf den Pastor Johann Wilhelm von de Fenn geschossen. Er sitzt noch in seinem Zimmer am Schreibtisch, denn er arbeitet ja auch noch für die bischöfliche Behörde. Es entfällt seiner müden Hand die Feder, und indem er sich danach bückt, geht der Schuss in die Wand. Das Fallen der Feder hat ihm das Leben gerettet. Er ist Gott dankbar, aber doch entsetzt. Ja, er ahnt und weiß, wer geschossen hat. Und das schmerzt ihn am meisten, dass sein Herzensanliegen, den Armen Arbeit und Brot zu geben, gerade von diesen Armen nicht verstanden worden ist. Denn einer von diesen hat geschossen. Einer, der geglaubt hat, der Pfaffe gönne ihm nicht einmal ein Stück Fleisch”.

Pfarrer Dentel berichtet weiter, in der Nachbarschaft des Pastorats auf der Kirchstraße sei am gleichen Abend ein Kind geboren worden:

„Noch spätabends lief der junge Vater zum Pastorat hinüber, dem Pfarrer, mit dem ihm auch eine herzliche Freundschaft und Nachbarschaft verband, die glückliche Geburt des Ersten zu melden, ihn aber auch zu fragen, was es gegeben habe, weil er den Schuss gehört hatte. Er fand den Pfarrer noch ganz bestürzt und niedergeschlagen. Seine ersten Worte waren: Das wird Ratheim keinen Segen bringen.
Sie wussten beide um den Täter, aber der Pastor beschwor den jungen Vater, kein Wort dar­über zu sagen. Am Sonntag darauf hat er sehr ernst in der Kirche gepredigt und auch von dem Schuss gesprochen. Auch hier hat er wieder die Worte des Abends wiederholt, sie aber schon etwas abgeschwächt, indem er fragte: „Ob das wohl Ratheim Segen bringt?"

Auch Pfarrer Dentel schreibt dann, dass seit dieser Zeit mehrere junge Ratheimer Theologie studiert hätten, dass aber bis zur Priesterweihe von Heinrich Weingartz **) im Jahre 1931 keiner davon tatsächlich zum Priestertum gekommen sei, weil sie entweder vorher gestorben oder wegen Krankheit das Studium aufgeben mussten.


Interessant ist dazu auch ein Brief vom 7. November 1961, den der damalige Pastor von Puffendorf, Hubert Esser, an Pfarrer Dentel geschrieben hat (er war von 1922-1930 Kaplan von Ratheim gewesen). Darin heißt es:

„Es ist nicht Aufgabe des Priesters zu fluchen, sondern zu segnen. Zum Segnen sind ihm die Hände geweiht worden. Er hat auch nicht das Recht, zu verfluchen, besonders nicht auf Jahr­hunderte zu verfluchen. Ich nehme an, daß der fluchende Pastor weniger eine sichere Prophezei­hung als eine Befürchtung ausgesprochen hat. Nämlich: Es könnte eintreten, daß Gott zur Be­strafung für längere Zeit der Pfarre keinen Priester mehr schenken würde".


*)
BÜRGER, J. (1987): Die Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Johannes der Täufer, Ratheim, seit 1816. - in: Kreis Heinsberg (Hrsg.): Heimatkalender des Kreises Heinsberg, S. 143ff

**) siehe auch: Familie Peter Weingartz