Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden

Eine Entführung

oder: Ökumene in Ratheim (früher!!!)

von Ulrike Psefteli
 

Die interessantesten Geschichten schreibt das Leben. In unserem Haus auf der Mühlenstraße 3, den Ratheimern bekannt als das Arzthaus Brüssermann, wohne ich, Ulrike Psefteli geb. Brüssermann, mit meiner Familie. Sieben Generationen haben hier Spuren und Geschichten hinterlassen. Meiner Oma Elisabeth habe ich immer gerne zugehört, wenn sie von unseren Vorfahren erzählte. Hier ein Beispiel:

Man schrieb das Jahr 1841. Die Ratheimer Bevölkerung hatte sich von den kriegerischen Ereignissen zwischen Österreichern und Franzosen seit 1794, der Einverleibung in das französische Kaiserreich bis 1815 und auch von den Einquartierungen preußischer Truppen im Jahre 1831 erholt. In unserem damals frisch renovierten Haus lebten mein Urururgroßvater, der Kaufmann Johann Mathias Palenberg, mit seiner Frau Agnes Maria und ihren fünf Kindern, davon Sohn Peter Josef im heiratsfähigen Alter.

Unsere Familie war katholischen Glaubens – es gab damals nur wenige evangelische Familien in Ratheim. Die Liebe kennt aber keine Schranken, und so verliebten sich Peter Josef und die schöne evangelische Catharina Elisabeth Busch in einander. Ihr Vater Johann Gottfried Busch, ein angesehener Mann, Gastwirt und Landwirt, sah das gar nicht gerne und verweigerte seine Heiratserlaubnis. Falls Tochter Elisabeth den Peter heiraten würde, brauche sie keinen Fuß mehr über die Schwelle seines Hauses zu setzen.

Aber auch schon 1841 kämpften junge Leute um ihre Liebe und waren nicht immer bereit, den normalen Weg zu gehen. So geschah es dann. In einer kalten Novembernacht schlich Peter zu dem Haus seiner angebeteten Elisabeth und entführte sie direkt in sein schönes großes Elternhaus. Durch eine offen stehendes Fenster, von der Böschung des Kirchenhügels her, kletterten sie direkt in das Haus.

Das Paar stellte seine Eltern vor vollendete Tatsachen. Die Eltern von Peter nahmen die zukünftige Schwiegertochter herzlich auf, weil sie sich bereit erklärte, zum katholischen Glauben zu konvertieren. Die Hochzeit wurde noch in der Adventszeit, in der sonst keine Heiraten stattfinden, am 9. Dezember 1841 mit besonderer kirchlicher Erlaubnis geschlossen.

Die Eltern Busch waren sehr enttäuscht und erzürnt, besonders auch, weil Elisabeth bei der nächsten Fronleichnamsprozession in einem Tragesessel durch Ratheim geführt wurde, wie es für Konvertiten damaliger Brauch war. Johann Gottfried Busch verfluchte seine Tochter: "Niemals sollst du einen männlichen Nachkommen haben!" – ein Fluch, der sich bitter bewahrheiten sollte.

Elisabeth gebar ihrem geliebten Mann sechs Mädchen und zwei Knaben (diese beiden wurden aber nicht einmal ein Jahr alt). Aus großem Kummer über den Tod seiner Söhne ließ Peter alle Giebelfenster seines Hauses zumauern, damit er ihre Gräber nicht sehen musste. Der Friedhof lag damals nämlich noch direkt bei der Kirche.
Elisabeth und Peter lebten noch viele Jahre als angesehene Familie, erreichten ein hohes Alter und konnten sogar 1891 noch ihre Goldhochzeit feiern.

Aus dem Ratheimer Pfarrbrief Weihnachten 2009