Ökumene früher

von Johannes Bürger
 

Ratheim war früher ein fast ausschließlich katholisch geprägter Ort. Es gab nur einige Familien evangelischer Konfession, die hauptsächlich in Krickelberg und Vogelsang wohnten. Einige wenige andere Evangelische, hauptsächlich Bauern, wohnten über Ratheim verstreut, vor allem in Busch. Erst nach dem 1. Weltkrieg, als die Gewerkschaft Sophia­Jacoba ihre Kohleförderung aufnahm, zogen mehr Christen evangelischer Konfession nach Ratheim. Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg nahm die Anzahl der evangelischen Mitchristen in Ratheim erheblich zu, vor allem durch den Flüchtlingsstrom aus dem Osten, so dass heute in Ratheim etwa 2/3 Katholiken und 1/3 Evangelische leben.

Die Konfessionsunterschiede waren früher viel stärker ausgeprägt als heute. Katholiken und Evangelische lebten zwar einträchtig zusammen, aber eine gewisse Distanz bestand doch. Das hing schon mit verschiedenartigen kirchlichen Festen zusammen, z. B. war für den evangelischen Nachbarn Karfreitag der höchste Feiertag im Jahr. Für die Katholiken war Fronleichnam mit der großen Prozession der kirchliche Höhepunkt.
Allerdings habe ich in Ratheim nie das beobachtet, was man von anderen Gegenden erzählt, dass am Karfreitag die Katholiken besonders auffällig draußen gearbeitet hätten und die Evangelischen etwa an Fronleichnam mit einem Jauchefässchen durchs Dorf gefahren wären. Im Gegenteil: Man sah den "Andersgläubigen" zwar als etwas anders an, aber man achtete ihn. Die Leute sagten z. B.: "He es zwar evangelesch - ever sos enne patente Minsch."
Das "andere" wurde aber auch dadurch unterstrichen, dass zu gewissen Zeiten die evangelischen Kinder eine andere Schule besuchten, und vor allen Dingen wurden die evangelischen Christen nicht auf dem Ratheimer Friedhof, sondern auf dem Wassenberger Friedhof beerdigt, weil sie zur evangelischen Kirchengemeinde Wassenberg gehörten. Millich gehörte allerdings zur evangelischen Kirchengemeinde Hückelhoven.

Zu meiner Jugendzeit hatten die Evangelischen ihren ersten gottesdienstlichen Raum in dem früheren Tanzsaal der Gaststätte Peter bzw. Max Busch im Ratheim-Busch, dort wo heute das Blumenhaus Gillissen steht

Bei "evangelischen" Begräbnissen nahmen zwar auch Katholiken an dem evangelischen Trauergottesdienst teil, im übrigen war uns die Teilnahme an evangelischen Gottesdienstfeiern aber untersagt. Ich weiß noch, dass ich einmal mit einem ganz schlechten Gewissen an einem Sonntagnachmittag an einer evangelischen Taufe in der Buscher evangelischen Notkirche teilgenommen habe.

Man kann also sagen, dass die menschlichen Beziehungen zwischen Katholiken und Evangelischen in Ratheim gut waren (z. B. gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen der evangelischen Familie Dieks auf dem Marktplatz und den Ordensschwestern des daneben liegenden Klosters), aber dass die Evangelischen für uns Katholiken eben doch ganz anders waren, und umgekehrt wird das genauso gewesen sein.
Vor allen Dingen zeigte sich das "Anderssein" in seiner ganzen Problematik dann deutlich, wenn ein katholischer und ein evangelischer Partner heiraten wollten. Das hat auch in Ratheim in einigen Fällen geradezu zu Familientragödien geführt. Hier wurde dann etwas wie krasse Intoleranz deutlich.

Auch deshalb ist es erfreulich, dass seit einigen Jahrzehnten - vor allem seit dem II. Vaticanum - die beiden großen Kirchen auf dem Weg zueinander sind. In Ratheim zeigt sich das ja in vielerlei Hinsicht. Es geht uns zwar allen nicht schnell genug voran auf diesem Weg, aber wir können doch Hoffnung haben, dass es weitergeht. Dabei dürfen wir sicher nicht alles von den Kirchenleitungen erwarten. Auch wir als einzelne, aber auch wir als Gemeinden sind da gefordert.

(aus dem Pfarrbrief April 1987)



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