Aus den Chroniken der Ratheimer Bruderschaften  1

von Johannes Bürger
 

Wie in fast allen Pfarren in unserer Gegend, so haben auch in Ratheim die beiden Schützenbruderschaften im Pfarrleben, wie auch im gesellschaftlichen Leben des Ortes überhaupt eine immer große Rolle gespielt.

Den Protokollbüchern, soweit noch vorhanden, und den sonstigen Unterlagen in dem Bruderschaftsarchiv sind interessante Dinge zu entnehmen, die die Verflechtung der Bruderschaften mit dem Leben in Staat und Gesellschaft belegen. Einiges dazu aus den letzten 100 Jahren soll dies nachstehend dokumentieren.
 

1. Aus dem ersten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit

Das Protokollbuch der St. Sebastianus Bruderschaft berichtet unter dem 14. September 1914:

„Es erging an die St. Sebastianus Schützenbruderschaft von Seiten der Behörde das Gesuch, in dieser Kriegszeit Unterstützung für die in Not geratenen Einwohner von Ratheim zu erhalten. Auf das Gesuch hin wurde am 13.September 1914 eine Generalversammlung einberufen und folgender Beschluss gefasst: Die Bruderschaft stellt ihren Mitgliedern, welche in Not geraten, das ganze Brudervermögen, wenn es Not tut, zur Verfügung."

Aus dem Protokoll vom 12. Oktober 1914:

Heute den 10. Oktober 1914 wurde folgendes durch eine vorschriftsmäßige Versammlung beschlossen: Es wurde von Seiten der Gemeinde nochmals 100 Mark bewilligt wurden, welche in jetziger Kriegszeit an die Bedürftigen der Gemeinde verteilt werden."

Der Chronik ist zu diesen Beschlüssen folgendes Originalschreiben beigefügt:.

Der Ehrenbürgermeister 
Ratheim, den 26. Oktober 1914

An die
St. Sebastianus Bruderschaft
In Ratheim

Ich bitte um gefl. Ablieferung des von Ihrem Verein zur Unterstützung armer Familien gespendeten Geldbetrages. Gleichzeitig spreche ich für die Opferfreudigkeit namens der Gemeinde meinen Dank aus.

Gez. Edmund Freiherr Spies von Büllesheim

Bleistiftvermerk: Inzwischen 100 Mark abgegeben
 

Dabei muss man wissen, dass 100,--DM damals viel Geld war.

Die Chronik berichtet, dass im 1. Weltkrieg „alles weltliche Vergnügen zur Seite gesetzt" wurde. Dazu gehören Vogelschuss, sowie Früh- und Herbstkirmes. Bis 1918 wurden 67 Brüder zu den Waffen gerufen.

„Bis im Jahre 1921 war alles wieder soweit mit der belgischen Besatzung geregelt, dass wir die Erlaubnis erhielten den Königsvogel abzuschießen, was auch wieder mit der größten Freude vollbracht wurde, aber wir durften nur mit Pfeil und Bogen schießen. 1923 wurde uns das Königsvogelschießen mit Pfeil und Bogen von der Besatzung wieder verboten. Daraufhin wurde er mit einem Knüppel abgeworfen. Unser hochwürdiger Pastor Offermanns machte den ersten Wurf, unser hochwürdiger Herr Kaplan den zweiten Ehrenwurf, den dritten unser Präsident und den vierten unser Schützenkönig. 1924 wurde uns wieder erlaubt, mit Pfeil und Bogen zu schießen und 1925 mit Flobbert."
 

2. Die nationalsozialistische Zeit

Dazu enthält das Protokollbuch folgende Eintragungen:

„Bei dem, am zweiten Sonntag im Mai 1934 stattzufindenden Königsvogelschuss durfte der hochwürdige Pfarrer Offermanns auf Anordnung der nationalsozialistischen Behörde den Ehrenschuss für Seine Heiligkeit den Papst nicht abgeben. Den Königsvogelschuss aus diesem Grunde ausfallen zu lassen, lehnte der Pfarrer entschieden ab, sondern riet uns, die weltlichen Feiern der Bruderschaft so lange wie möglich zu erhalten. Der Protektor, Baron Egon Freiherr Spies von Büllesheim, verzichtete daraufhin freiwillig auf den Ehrenschuss."
Ratheim, am zweiten Sonntag im Mai 1934
Gez. Josef Sieben, Präsident

Im Jahre 1935 verordnete die nationalsozialistische Regierung, die Schützenbruderschaften müssten sich gleichschalten; d.h., sie mussten sich dem deutschen Schützenverband und somit dem deutschen Sportverband anschließen. In einer Generalversammlung am 1.Mai 1935, die beschleunigt einberufen wurde, wurde der Anschluss von den Mitgliedern einstimmig abgelehnt, weil diese Verbände nur wehrpolitische Ziele verfolgten. Als der Präsident Josef Sieben dieses dem nationalsozialistischen Bürgermeister Dr. Kammann bekanntgab, verbot dieser das öffentliche Auftreten der Bruderschaft.

Josef Sieben sprach zu ihm die denkwürdigen aber auch gefährlichen Worte: Herr Bürgermeister, wir ziehen noch auf, dann zieht Ihr längst nicht mehr."

„Seit dieser Zeit ruht das Schützenwesen in Ratheim, bis wieder andere Zeiten kommen und das Schützenwesen wieder auflebt. Der letzte Schützenkönig war der Schützenbruder Josef Brückers."
Ratheim, 1935
Gez. Josef Sieben, Präsident

In den Archivaufzeichnungen der St. Josef Bruderschaft heißt es zu diesem Thema: „Die Bruderschaften, die sich nicht gleichschalten ließen, durften sich nur noch kirchlich betätigen, und dies in beschränktem Umfange."

Der Mut, der hinter den Worten von Josef Sieben gegenüber dem Bürgermeister stand, ist bewundernswert. Das kann nur der voll ermessen, der um die damalige politische Situation weiß, bzw. der sie noch miterlebt hat. Die Ratheimer Schützenbruderschaften können stolz darauf sein, einen solchen mutigen Vorsitzenden gehabt zu haben. Josef Sieben war nach dem Kriege wieder bis 1957 1. Brudermeister der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft. Er wohnte bis zu seinem Tode im Jahre 1960 in dem inzwischen abgebrochenen Haus, Ratheim, Mühlenstr. 2, dort, wo sich heute der große Kinderspielplatz Mühlenstraße befindet.
 

3. Nach dem 2. Weltkrieg

Mit Ende des 2.Weltkriegs am 8. Mai 1945 endete die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die u.a. kirchliches Leben unterdrückte und das kirchliche Vereinsleben ganz zum Erliegen gebracht hatte. Dazu gehörten auch die Schützenbruderschaften. Nur zögerlich entwickelte sich das Vereinsleben, weil die Menschen in den ersten Nachkriegsjahren andere Sorgen hatten.

In den Aufzeichnungen von Peter Schlebusch, dem unermüdlichen Förderer des Schützenwesens in Ratheim in der neueren Zeit, heißt es,

 „dass im Frühjahr 1948 von einigen zögernd die Frage aufgeworfen wurde, die Ratheimer Schützenbruderschaften wieder ins Leben zu rufen. Bei einer Zusammenkunft der noch lebenden Vorstandsmitglieder wurde man sich einig, dies einer Generalversammlung aller katholischen Männer und Jungmänner zu überlassen. Der schwierigste Punkt war, Pfarrer August Pütz zu gewinnen. Pfarrer Pütz wollte von diesem „abgedroschenen Zeug" nichts wissen, auch der Bischof von Aachen nicht, zumal das ja auch Erinnerung an den Militarismus hervorrufe. Nach zähem Hin und Her fand die Versammlung, die gut besucht war, am Nachmittag des Fronleichnams 1948 statt. Nach einer Erläuterung über das Schützenwesen, Beantwortung vieler Fragen und nachdem man Pfarrer Pütz überzeugt hatte, wurde Einstimmigkeit darüber erzielt, die Bruderschaften in Ratheim wieder aufleben zu lassen. Aber die beiden Bruderschaften sollten in Zukunft die Feste zusammen feiern.Am 11. Juli 1948 fand dann nach 13jähriger Unterbrechung der erste Vogelschuss statt, natürlich mit der Armbrust, weil Feuerwaffen von der britischen Besatzungsmacht verboten waren. Schützenkönig der St. Sebastianus-Bruderschaft wurde Bergmann Gerhard Kalz von der Wallstraße, später Burgstraße, Schützenkönig der St. Josef Junggesellenbruderschaft der Metzgergeselle Peter Moll aus Busch."

Erwähnenswert scheinen mir für das neue Selbstverständnis der Bruderschaften folgende Einträge im Protokollbuch zu sein: „Beschlossen wurde am 26.09.1948 von dem Überschuss Herbstkirmes dem Herrn Pastor 100,--DM für neue Kirchenfenster und 100,--DM für die Caritas zu stiften." (Das war so kurz nach der Währungsreform ein hoher Betrag.)

In der Festausschusssitzung am 1.Juli 1950 wurde beschlossen, zwei Häuser zu bauen. Bis zu 60% der Baukosten sollten in Eigenleistung von den Mitgliedern ausgeführt werden.

Zur Herbstkirmes 1949 kehrten 3 unserer 4 Glocken aus einem Ort im Südharz, damalige sowjetische Besatzungszone nach Ratheim zurück. Unter großer Beteiligung der Bruderschaften wurden sie feierlich heimgeholt, auf Pferdewagen durch den Ort gefahren und zur Pfarrkirche gebracht.

(aus dem Pfarrbrief Ostern 2001)



Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden