Pfarrgemeinde St. Johannes d.T. Ratheim 

und unsere Gemeinschaft der Gemeinden

Die Pfarrkirche St. Johannes d. T. in Hückelhoven-Ratheim
und ihr Baumeister, Freiherr Friedrich von Schmidt

Von Dr. Hans-Henning Herzberg

 

Bereits in unserem Werk „Hückelhoven – Stadt an der Rur zwischen Rhein und Maas" 1976 haben wir darauf hingewiesen, daß eigenartigerweise bei den hiesigen Heimatforschern Unklarheit darüber herrscht, wer der Architekt der heutigen Kirche ist. Wir konnten dort lediglich auf Quellen hinweisen, die unser Forschungsergebnis stützen, daß Friedrich von Schmidt der Baumeister dieser Kirche ist.

Zeichnungen der neu zu erbauenden und der alten Kirche
Zeichnungen des
Baumeisters Habes


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Zwischenzeitlich hatten wir auch die Gelegenheit, sein Alterswerk in Wien an Ort und Stelle kennenzulernen. Es ist reizvoll gewesen, die Entwicklung eines so bedeutenden Mannes wie Friedrich von Schmidt von seinem Frühwerk in Hückelhoven bis zu seinen Spätwerken in Wien zu verfolgen. Weitere Frühwerke finden wir in der Nähe: In Garzweiler und Keyenberg 1.

Da es in diesem Aufsatz nicht um die Vorgeschichte der Kirche geht – diese kann in dem oben zitierten Werk nachgelesen werden –, sondern um die von Schmidt geleistete Arbeit, wollen wir nicht auf das Gutachten von Baumeister Habes mit den dazugehörigen Skizzen näher eingehen. Der Vollständigkeit halber seien jedoch die beiden Pläne von Baumeister Habes abgebildet.

In den uns vorliegenden Akten findet sich kein Hinweis, wie die Pfarrgemeinde Ratheim an den Baumeister Schmidt gekommen ist. Vermutlich ist der spätere Freiherr vor Schmidt von der Kölner Erzdiözesanbehörde empfohlen worden und das, obwohl Schmidt damals noch Protestant war. Die Empfehlung dürfte auf zwei Gründe zurückzuführen sein: Einmal arbeitete Schmidt am Kölner Dombau mit – er wird im Beschluß über den Kirchenbau sogar als „Dombaumeister Schmidt zu Köln" bezeichnet – und zweitens hatte er 1857 beim Wettbewerb für das neue Berliner Rathaus den 1. Preis erhalten und ragte daher bedeutend über seine Kollegen hinaus.

In einer Akte heißt es:

„Verhandelt, Haus Hall, den 1. Okt. 1858, Anzahl der Gemeindeverordneten A ohne Wahl 3, B der gewählten 12, überhaupt 15. Anwesend waren:
Bürgermeister Freiherr von Spies-Bülles­heim,
H. Albert Merkens,
Joh. Laur. Thönnissen,
Franz Düsterwald,
Joh. Heinr. Classen,
Joh. Ludwig Thönnissen,
Leonhard Siebertz,
Jakob Küsters,
Theodor Adams,
Johann Gillissen,
Moritz Knorr.
Entschuldigt sind:
Freiherr Ludwig von Spies-Büllesheim,
Gottfried Worms,
nicht entschuldigt sind:
Johann Arnold Beckers,
Heinrich Küster.

Durch Umlauf vom 27. September wurde der Gemeinderat durch den Bürgermeister auf vormittags 8.00 Uhr 1. Oktober 1858 vom Bürgermeister eingeladen.

2. Beschluß über den Kirchenbau
Vom Vorsitzenden wurde Gemeinderat im Auftrage des Kirchenvorstandes der Plan zur Vergrößerung der Pfarrkirche zu Ratheim angefertigt vom Dombaumeister Schmidt zu Köln in 6 Blätter nebst Kostenanschlag vorgelegt.
Nach Einsicht der Pläne und Kostenanschläge spricht sich Gemeinderat, welcher das Bedürfnis der Vergrößerung der Kirche als dringend notwendig anerkannt, für die Vergrößerung nach dem vorliegenden Plane und Kostenanschlage aus, und ersucht den Vorsitzenden, das Notwendige zu veranlassen, damit sobald wie möglich mit dem Bau begonnen werden könne.
Zu dem Ende seien schon für das Jahr 1858 1.000 Taler beigenommen und sollten pro 1859 wieder 1.000 Taler beigenommen werden, damit schon im nächsten Jahre mit der Anschaffung von Ziegelsteinen und Kalk begonnen werden könne ... Unterschriften."

Der Bürgermeister von Spies-Büllesheim berichtet in einem Vermerk vor der Sitzung des Gemeinderates, daß die Kosten von seiten der Kirchenverwaltung gedeckt sind

„und 300.000 fertige Ziegelsteine zum Werte von 900 Talern geschenkt worden, so daß, wenn der Kostenanschlag von Herrn Baumeister Schmidt richtig ist, noch ungefähr 8.000 Taler verwendet werden müssen, welche durch eine Anleihe zu beschaffen sein würden".

Mit Datum vom 5. Mai 1859 übersendet die Königliche Regierung zu Aachen den Plan, der aus 7 Blättern 2 besteht, und den Kostenanschlag dem Königlichen Landrat, Herrn Claessen in Heinsberg. Sie teilt in dem Begleitschreiben mit,

„daß, nachdem diesseits die technische Revision erfolgt ist, die Ausführung des Planes erfolgen kann, vorher jedoch derselbe noch durch den Bürgermeister die Revision und die Feststellung des Kostenanschlages in kalkulo erfolgen muß".

In der Ratheimer Chronik lesen wir:

„Auch in diesem Jahre sind wieder zur Vergrößerung der hiesigen kath. Pfarrkirche 16 1/2 Bund Ziegelsteine, pro Bund zu 15.000 gebacken, welche gut geraten sind."

Erst am 22. 12. 1860 findet die Submission für die Vergrößerung der Kirche statt. Den Zuschlag erhält aufgrund des Beschlusses des Gemeinderates vom 31. 12. 1860 Johann Koenemund aus Rheydt. Damit ist ihm die Ausführung des Baues übertragen worden.

Die vorbereitenden Arbeiten müssen sich noch bis zum Juli 1861 hingezogen haben, denn erst in diesem Monat wird die Polizeiverordnung über das Betreten der Kirchenbaustelle erlassen.
Die Ratheimer Chronik nennt hier das Datum vom 4. Mai 1859 sowie das Aktenzeichen I 7206; da es sich hierbei um eine handschriftliche Eintragung handelt, könnte es sein, daß der Schreiber sich im Datum geirrt hat.

„Polizeiverordnung
Aufgrund des § 5 des Gesetzes über die Po­lizeiverwaltung vom 11. März 1850 wird mit Genehmigung des Königlichen Landrats zu Heinsberg für den Umfang der Gemeinde Ratheim folgende Polizei-Verordnung erlassen:

§1
Das Betreten der Baustelle des Vergrößerungsbaues der Pfarrkirche zu Ratheim, außer dem noch stehenden Teile der Kirche, ist bis zur Vollendung des ganzen Baues wegen daselbst vorgekommener Beschädigungen nur von morgens 7.00 – 12.00 Uhr und des nachmittags von 2.00 – 7.00 Uhr, wo die Arbeiter dort beschäftigt sind 3, gestattet; während der übrigen Zeit sowie an Sonn- und Feiertagen während des Gottesdienstes darf die Baustelle nicht betreten werden.

§2
Die die Baustelle Besuchenden haben jedoch den Anordnungen und Weisungen des Maurers Welschens und Steinhauermeisters Betz sich jederzeit unbedingt zu fügen; Kinder dürfen die Baustelle gar nicht betreten und werden deren Eltern hierfür verantwortlich gemacht.

§3
Jede Übertretung dieser Verordnung wird mit einer Polizeistrafe von 1-3 Talern oder im Falle des Unvermögens mit verhältnismäßiger Gefängnisstrafe geahndet 4, und tritt gegenwärtige Verordnung mit dem Tage ihrer Publikation in Kraft.

Haus Hall, den 8. Juli 1861
Der Bürgermeister der Gemeinde Ratheim In Vertretung
Der Beigeordnete:
gez. Lud. Knorr

Vorstehende Polizeiverordnung ist nach vorhergegangenem Zeichen mit der Handglocke in der Bürgermeisterei Ratheim vorschriftsmäßig zur öffentlichen Kenntnis gebracht und gehörig angeheftet worden, welches bescheinigt.
Haus Hall, den 15. Juli 1861
Der Bürgermeister
In Vertretung
Der Beigeordnete:
gez. Lud. Knorr"

Grundriss der Ratheimer Kirche
Grundriss

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In der Chronik wird berichtet, daß der Kirchenbau so weit ist, daß im September 1861 der Dachstuhl aufgesetzt werden kann. Die Arbeiten ruhten jedoch von November bis zum Frühjahr des folgenden Jahres. Zur Deckung der Baukosten wurden 6.000 Taler von Privatpersonen geliehen mit einem Zinssatz von 5 %. Die Verzinsung lief von 1863 bis 1870. Die Darlehnsaufnahme wurde am 14.10.1861 vom Regierungspräsidenten genehmigt. Im Oktober 1862 wurde die Kirche von Bauinspektor Kruse abgenommen 5.

An keiner Stelle ist von einer Einweihung des von Schmidt geplanten Erweiterungsbaues die Rede. Die Kirche wird erst 1868 konsekriert durch den Erzbischof von Köln, Dr. Paulus Melchers. Daß die Kirche so spät geweiht wurde, hatte seinen Grund darin, daß man die Gewölbe der alten Kirche der Erweiterung anpassen wollte. In den Plänen von Schmidt war der Umbau der alten Kirche nicht enthalten. Dazu der Bürgermeister:

.. schließlich erlaube ich mir noch zu bemerken, daß bei den von Königlicher Regierung genehmigten Plänen des Herrn Prof. Schmidt in Wien nie auf eine Höherlegung des Gewölbes der alten Kirche die Rede gewesen ist, wie dieses aus der Eingabe des Herrn Pfarrers an Euer Hochwohlgeboren vom 1. Juni c. hervorzugehen scheint ...".

Zwischen den Zeilen des Berichtes des Bürgermeisters lesen wir heraus, daß er und der Pfarrer sich nicht in allem einig waren. Tatsächlich hat es während der Bauzeit des Erweiterungstraktes Unstimmigkeiten zwischen dem Bürgermeister von Spies-Büllesheim und dem Kirchenvorstand bzw. dem Pfarrer gegeben. Der Bürgermeister, der zu den Anklagen des Pfarrers dem Landrat gegenüber Stellung nehmen mußte, schreibt, daß es einmal um 2 Bund Ziegelsteine geht und zum anderen um Geld. Er betont:

„Übrigens hat die ganze Sache mit meinem Amte als Bürgermeister nichts gemein, indem diese Gelder nur von einer Bruderschaft, welche zum Zwecke einen Muttergottesaltar in der neuen Kirche anzuschaffen zusammengetreten war, gesammelt wurde, also nicht zum Kirchenvermögen, zu dessen Verwaltung der Kirchenrendant verpflichtet ist, gehören, und ich also zur Aufbewahrung des Sparkassenbuches in meiner Eigenschaft als Privatmann doch wohl glaube berechtigt zu sein."

Soviel zur Baugeschichte.

Längsschnitt der Ratheimer Kirche
Längsschnitt

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Neben diesen Zitaten aus den Akten liegen uns die 3 Zeichnungen von Friedrich von Schmidt für St. Johannes Baptist vor. Wir konnten sie im Wiener Stadtbauamtsarchiv im Zusammenhang mit unserer Arbeit an dem oben genannten Buch auffinden. Dort sind mehr als 4.000 Pläne im v. Schmidt-Nachlaß inventarisiert 6. Bei den 3 Zeichnungen handelt es sich um den Grundriß, einen Längsschnitt und die Südansicht. Sie sollen hier zum ersten Mal vorgestellt werden. Gleichzeitig belegen wir damit unsere These, daß das Bauwerk die Handschrift eines so bedeutenden Mannes wie die des Freiherrn Friedrich von Schmidt trägt.

Schmidt wird von Merlo neben Zwirner und Statz zum „Dreigestirn, mit dem eine Blütezeit der alten Kölner Dombauhütte wieder erstanden scheint", gerechnet und Han Vogts berichtet, daß er im Organ für christliche Baukunst neben Statz und dem Franzosen Violett le Duc zu den drei Großen der Neugotik gezählt wird.

Aber auch in Wien gehört v. Schmidt zu der bedeutenden Architektenpersönlichkeiten. Mit seinen beiden Freunden Heinrich Ferste (1828-1883) und Theophil von Hanser (1813-1891) bildete er das „bestimmende architektonische Dreigestirn". Im Nachhinein können wir es nur bedauern, daß ein so begabter Architekt das Rheinland bereits 1858 verlassen hat. 1859 kam er nach Wien. Jedoch gab es für ihn in der Kölner Dombauhütte keine berufliche Entwicklungsmöglichkeit. Sicherlich ging er auch, um dem drohenden Nivellement in der Randprovinz Preußens zu entgehen.

Kurz vor seinem Fortgang 1858 muß er den Entwurf für St. Johannes noch dem Kirchenvorstand vorgelegt haben. Diese Kirche zählt, wir erwähnten es bereits, zu seinen Frühwerken.
Als die Arbeiten zum Erweiterungsbau für St. Johannes 1860 vergeben wurden, beginnt Schmidt in Wien mit der Lazaristenkirche, ein Backsteinbau mit einem achteckigen Vierungsturm, einem dreischiffigen Langhaus mit Querschiff und Chor, vom Raum her eine Hallenkirche. Beide Bauvorhaben werden gleichzeitig im Jahre 1862 fertiggestellt.

Wir gehen sicherlich nicht fehl in der Annahme, daß der inzwischen zum Professor avancierte Schmidt sich nur noch am Rande mit dem Erweiterungsbau einer kleinen Landkirche beschäftigen konnte, besonders, da er im Gebiet der k. u. k.-Monarchie Österreich-Ungarn reichlich mit Aufgaben betraut worden ist. Er hat auch viel außerhalb Wiens gebaut. Bereits 1862 wird er der Dombaumeister von St. Stephan, der Wiener Bischofskirche, dem bedeutendsten Bauwerk der Stadt.

Die Aufgabe der Baubetreuung von St. Johannes dürfte daher in der Hauptsache Bauinspektor Kruse von der Königlichen Regierung in Aachen übernommen haben. Er wird in den uns vorliegenden Quellen insbesondere bei den Verhandlungen mit den Handwerkern genannt. Wie groß bei der Oberleitung sein Anteil am Gesamtwerk ist –insbesondere an der Lösung von Detailformen –, dieses Problem ist heute kaum zu klären.

Südansicht der Ratheimer Kirche
Südansicht

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Die Kirche St. Johannes ist eine kreuzförmige Anlage. Sie besitzt ein 3schiffiges, jedoch nur 3jochiges Langhaus. An das Querschiff schließt sich ein 1jochiger Chor mit 5/8 Schluß an. Wie in den Bau hineingestellt wirkt der Turm, der jedoch nicht auf die Konzeption Schmidt's zurückgeht. Friedrich von Schmidt hatte seinen Erweiterungsbau deutlich von dem alten Gebäude abgesetzt. Erst 1867 erfolgt der Abbruch der alten niedrigeren Gewölbe und des niedrigeren Daches.

Die mit dem Hauptschiff gleich hohen Seitenschiffe finden nach außen ihre besondere Ausprägung; den Jochen entsprechend finden wir in rhythmischer Folge kleine Giebel. Eine Erscheinung, die wir auch an der Hückelhoven-Kleingladbacher St.-Stephan-Kirche und bei der Heiligkreuz-Kirche in Keyenberg antreffen. Trotz ähnlicher Giebel­elemente lassen sich die Kirche St. Johannes und die Keyenberger Kirche überhaupt nicht vergleichen. Hier ein eher schwerer, dort ein eher lebendig zu nennender Kirchenbau.

Innen wirkt der Raum von St. Johannes, und wir haben bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, ebenfalls eher breit ausladend, ja massig schwer denn „gotisch" emporstrebend.
Wichtig ist noch, daß über der quadratischen Vierung ein schlanker Dachreiter sitzt auf einem Querschiffdach, das das des Langhauses überragt. Daß von Schmidt seine Bauwerke plastisch durchzuformen verstand, davon spüren wir an dieser Kirche schon ein wenig. Aber noch ist die Kraft verborgen, die in der Wiener Fünfhauser Kirche (1868-75), einem imposanten Kuppelbau, ihre höchste Vollendung erfuhr.

Die Bauweise selbst war lange bis 1914 reglementiert. Diese Reglementierung der Kirchenbauten geht unter anderem auf eine Verordnung des Kölner Weihbischofs Baudri von 1852 zurück. Dort wird verlangt:

„Neue Kirchen sind in der Regel nach nur im romanischen oder gotischen bzw. sogenannten Übergangsstil zu bauen. Für unsere Gegend empfiehlt sich durchgängig am meisten der gotische Stil ..." – und weiter: „Es kann aber nach der Natur der Sache das Urteil ... über neue Kunstschöpfungen nicht einzelnen Kirchenvorständen überlassen, sondern es muß dieses Urteil notwendig den Sach- und Kunstverständigen anheim gegeben und einer möglichst allseitigen Prüfung unterworfen werden 7."

Daß diese strenge bischöfliche Aufsicht über das kirchliche Bauwesen diesem nicht gerade zum Vorteil gereichte, versteht sich von selbst. Eine Erstarrung war die Folge. Unter Umständen hat auch diese sich abzeichnende Entwicklung im Kirchenbau Schmidt veranlaßt, den Rheinländern den Rücken zu kehren.
In der Bauweise der Gotik neue Kirchen zu errichten, liegt nicht zuletzt in der Neuentdeckung der Gotik selbst begründet. Sie drang wieder ein in das Bewußtsein der Menschen, obwohl die gotische Tradition – besonders in England – ungebrochen war. 1814 forderte Friedrich Görres im „Rheinischen Merkur" den Weiterbau des Kölner Domes, der 1823 mit dem Chor bzw. 1842 mit dem Schiff begonnen wird. Die neu gegründete Dombauhütte wird zum Anziehungspunkt allerersten Ranges. Von 1843 bis 1854 arbeitet Schmidt in der Dombauhütte mit. Hier erfährt er seine grundlegende Schulung.
Die Gotik, auch wie Schmidt sie aus- um durchformt – wir bezeichnen sie heute vielfach mit Neo- oder Neugotik – ist voraussichtlich die letzte Frucht, wenn nicht sogar die Überreife einer langen Entwicklung.

Aber noch eine Anmerkung zum Schluß: Das 19. Jahrhundert hatte bei weitem andere Bauaufgaben, als nur den Kirchenbau. Dieser stand von allen jenen Aufgaben an letzter Stelle. Und selbst Friedrich von Schmidt, der sich sehr auf Kirchenbau spezialisierte, stellte sich auch den neuen Aufgaben:

Nicht nur die Städte nahmen im 19. Jahrhundert an Bevölkerung zu, sondern auch die kleinen Orte auf dem Lande. Die Bevölkerung wuchs ganz allgemein im deutschsprachigen Raum rapide. Das ist mit ein Grund, weshalb die altes Kirchen zu klein und neue errichtet wurden bzw. die alten erweitert wurden, wie die Kirche St. Johann Baptist.

„Kein früheres Jahrhundert in der Geschichte der westliches Welt erlebte eine so hypertrophe Bautätigkeit wie das 19. Jahrhundert und keines brachte eine so kleine Anzahl schöpferischer Architekten hervor. Wir glauben nicht", führt Sigfried Giedion weiter aus – „daß dies dem Mangel an Talent zuzuschreiben war, es war vielmehr die Gesellschaft, die nach und nach jeden schöpferischen Impuls mit dem Gift des herrschenden Geschmacks abtötete."

Wie weit seine Worte auch für unsere Zeit Gültigkeit haben, das wollen wir hier nicht erörtern. Friedrich von Schmidt hat in seinen jungen Jahren versucht, sich jenem Gift zu entziehen. Er wendete sich vom Rheinland ab. Früh genug, um seinen schöpferischen Genius nicht einer Erstarrung preiszugeben.


Anmerkungen

1 Friedel Krings, Erkelenz, teilte uns eine weitere Kirche mit: Die in Venrath; außerdem ist uns die Wiederherstellung der Kirche St. Maria in Bottenbroich durch Schmidt bekannt.

2 In der Akte sind hier tatsächlich 7 und nicht wie oben 6 Blatt Zeichnungen genannt.

3 Es wurden also 2 mal 5 Stunden gearbeitet, vermutlich mit 2 Stunden Mittagszeit.

4 Dieses Prinzip des verschiedenen Strafmaßes hat sich bis heute nicht geändert.

5 Die Bezeichnung „Inspektor" darf jedoch nicht mit dem heutigen Titel Inspektor verwechselt werden. Es waren hohe Beamte, die etwas inspizierten, also Aufsicht über andere ausübten und Kontrollen durchgeführt haben.

6 Wir möchten in diesem Zusammenhang unseren Dank für die Hilfe, die uns von Wien gewährt wurde, aussprechen.

7 Es spricht für sich! Das braucht nicht mehr kommentiert zu werden.


Quellen und Literatur:

Akten der Regierung Aachen im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf.
Chronik der ehemaligen Gemeinde Ratheim von 1855 bis 1869.
Bauakte der Stadt Hückelhoven.
Wiener Stadtbauamtsarchiv, Nachlaß Friedrich von Schmidt, Historisches Museum der Stadt Wien.
Czeike, Felix: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Süddeutscher Verlag München 1976.
Dohmen, Heinz: Kirchenbauten des Erftraumes im 19. Jahrhundert. Dissertation T. H. Aachen (D 82) 1973.
Giedion, Sigfried: Raum, Zeit, Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition. Verlag für Architektur Artemis, Zürich und München 1976.
Herzberg, Hans-Henning: Hückelhoven — Stadt an der Rur zwischen Rhein und Maas. Joeres­Verlag, Mönchengladbach. 1976. (Dort weitere Literaturangaben.)



Text und Bilder sind entnommen aus:
HERZBERG, H. (1977): Die Pfarrkirche St. Johannes d. T. in Hückelhoven-Ratheim und ihr Baumeister, Freiherr Friedrich von Schmidt. - in: Kreis Heinsberg (Hrsg.): Heimatkalender des Kreises Heinsberg, S. 91ff.